Normen konkretisieren Rechtsvorschriften, z. B. Richtlinien, Gesetze oder Verordnungen. Ihre Anwendung ist grundsätzlich freiwillig. Einen verbindlichen Charakter haben Normen erst dann, wenn ihre Anwendung entweder in einer Rechtsvorschrift vorgeschrieben oder in einem privatrechtlichen Vertrag vereinbart ist.
Die vertraglich vereinbarte Anwendung von Normen hat den Vorteil, dass die entsprechenden Vertragsbedingungen für beide Parteien eindeutig geregelt sind. Dies beugt späteren rechtlichen Auseinandersetzungen vor.
Auch dann, wenn technische Normen nicht Vertragsbestandteil sind, können sie im Streitfall als Entscheidungshilfe dienen, wenn es um die Klärung von Sachmängeln im Rahmen der Produkthaftung geht.
Zur Konkretisierung der in der Maschinenrichtlinie festgeschriebenen grundlegenden Anforderungen werden harmonisierte Normen durch die europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC ausgearbeitet. Nach der Veröffentlichung einer harmonisierten Norm im Amtsblatt der Europäischen Union und Übernahme in das nationale Normenwerk lösen harmonisierte Normen die Konformitätsvermutung aus. Der Hersteller kann dann davon ausgehen, dass er bei korrekter Anwendung der vorhandenen harmonisierten Normen die Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der entsprechenden Richtlinie erfüllt.
Entscheidet sich ein Hersteller dafür, eine harmonisierte Norm nicht anzuwenden, so muss er nachweisen, dass seine Produkte durch die Verwendung anderer Mittel seiner Wahl die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie erfüllen. Eine europäische Norm erkennt man an der Bezeichnung "EN" für "Europäische Norm", die der Zählnummer vorangestellt ist, z. B. "EN 418". Sobald sie in ein nationales Normenwerk übernommen wird, erhält sie zusätzlich das Kurzzeichen der nationalen Normungsorganisation (Liste in Anhang C) in ihrem Titel (z. B. "DIN EN 418").
Aufgrund des sehr breiten Anwendungsbereichs der Maschinenrichtlinie ist eine Vielzahl von Normen erforderlich. Ende 2003 gab es insgesamt 1300 harmonisierte Normen (bis 31. Mai 2004: 1345), davon etwa 500 im Bereich der Maschinensicherheit.
Das europäische Normenwerk ist in drei Normentypen strukturiert (Abb. 5):
Typ-A-Normen (Sicherheitsgrundnormen) behandeln Grundbegriffe, Gestaltungsleits ätze und allgemeine Aspekte, die auf Maschinen angewandt werden können;
Typ-B-Normen (Sicherheitsfachgrundnormen) behandeln einen Sicherheitsaspekt oder eine Art von Schutzeinrichtungen, die für eine ganze Reihe von Maschinen verwendet werden können:
Typ-B1-Normen für bestimmte Sicherheitsaspekte (z. B. Sicherheitsabstände, Oberflächentemperatur, Lärm);
Typ-B2-Normen für Schutzeinrichtungen (z. B. Zweihandschaltungen, Verriegelungseinrichtungen, druckempfindliche Schutzeinrichtungen, trennende Schutzeinrichtungen);
Typ-C-Normen (Maschinensicherheitsnormen) behandeln detaillierte Sicherheitsanforderungen an eine bestimmte Maschine oder Gruppe von Maschinen (z. B. Teigknetmaschinen, Verpackungsmaschinen).
Abb. 6 zeigt Beispiele für Typ-A-, Typ-B- und Typ-C-Normen.

Abb. 5: Struktur des europäischen Normenwerks

Abb. 6: Beispiele für Typ-A-, Typ-B- und Typ-C-Normen.
Zentrale Norm im Bereich Maschinensicherheit bildet die Typ-A-Norm EN ISO 12100. Sie stellt - bildlich gesprochen - den Kern in einem Normen-Satellitensystem dar (Abb. 7). Sie beschreibt den Umgang mit Risiken und die Strategie zur Auswahl von Schutzmaßnahmen mit dem Ziel, die grundlegenden Anforderungen der Maschinenrichtlinie zu erfüllen. Alle weiteren B- und C-Normen untersetzen diese Norm.

Abb. 7: Harmonisierte Normen
EU-Richtlinien enthielten bis in die 80er Jahre sehr detaillierte Vorschriften, wodurch sich lange Zeiträume bis zu deren Inkrafttreten ergaben. Um die für den europäischen Binnenmarkt erforderlichen Richtlinien (Produkt-Richtlinien, siehe Kap. 4) zügiger erlassen zu können, wurde 1986 die "Neue Konzeption für Technische Harmonisierung und Normung" beschlossen.
Abb. 8 zeigt die Grundsätze der "Neuen Konzeption".

Abb. 8: Grundsätze der "Neuen Konzeption"
Neu an dieser Konzeption ist, dass nur noch Schutzziele in Richtlinien festgelegt werden, die technischen Einzelheiten zum Erreichen dieser Ziele aber in freiwillig anwendbaren harmonisierten Normen konkretisiert werden. Bestehende innerstaatliche Bestimmungen für die Sicherheit und die Gesundheit zur Verhütung von Gefahren, die von Maschinen ausgehen, sollen durch die "Neue Konzeption" angeglichen werden, ohne dass die in den Mitgliedstaaten bestehenden Schutzniveaus gesenkt werden. Die "Neue Konzeption" geht von gleichwertigen Zielen der Mitgliedstaaten bezüglich Sicherheit aus. Das Einschreiten des Staates wird auf ein unentbehrliches Minimum beschränkt und der Industrie größtmöglicher Handlungsspielraum bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gelassen.
Die "Neue Konzeption" mit der Kopplung von EG-Richtlinien nach Art. 95 des EGVertrages und harmonisierten europäischen Normen hat sich als wirkungsvolles Instrument zur Schaffung eines Binnenmarktes mit freiem Warenverkehr u. a. für Maschinen erwiesen.
Auf internationaler Ebene tritt die Welthandelsorganisation (WTO) für die Verwirklichung des weltweiten Freihandels ein und schreibt in ihrem Abkommen zum Abbau technischer Handelshemmnisse (TBT-Abkommen, 1994) die Verwendung bzw. Anerkennung internationaler Normen fest.
Die WTO mit Sitz in Genf wurde am 1. Januar 1995 als Nachfolgerin des GATTSekretariats von 1947 gegründet. Die WTO hat derzeit 148 Mitglieder (über 90 % des Welthandels). Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden von der Europäischen Kommission in der WTO vertreten. Zusätzlich ist jeder Mitgliedstaat der EU Mitglied der WTO.
Die Normungsorganisationen CEN auf europäischer Ebene und ISO auf internationaler Ebene hatten bereits schon 1991 ihre Zusammenarbeit vereinbart. Die von CEN und ISO gemeinsam erarbeiteten Normen werden gegenseitig anerkannt und mit "EN ISO" bezeichnet.
Für das Fachgebiet Elektrotechnik wurde zwischen der zuständigen europäischen Normungsorganisation CENELEC und der internationalen Normungsorganisation IEC ebenfalls eine Zusammenarbeit vereinbart.
So wurden bis Mai 2004 über 30 Normen zur Maschinensicherheit erarbeitet bzw. überarbeitet und im europäischen als auch im internationalen Normenwerk aufgenommen (siehe Tab. 1).
| Tab. 1 | Maschinensicherheit: 31 Europäische Grundlagen-Normen sind Internationale Normen |
Fortsetzung von Tab. 1

Fortsetzung von Tab. 1

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| Stand: Mai 2004 | Quelle: VDMA-Nachrichten Juni 2004 |
| * Achtung: ISO-Titel unterscheidet sich von EN- Titel | |
Die in der Tabelle 1 genannten EN-Fassungen sind bereits als Harmonisierte Normen zur Maschinenrichtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Im Falle abweichender Nummer wurde sie später von der ISO übernommen. Bei Revision dieser Normen erhält die europäische Ausgabe dann die ISO Nummer als EN ISO xxxx.