Wenn der Leitstand grünes Licht gibt


Gefahrstoffabtankung mit »Netz und doppeltem Boden« bei der Molkerei Zott in Mertingen
von Elfi Braun | aus Akzente

Bild: Bedienfeld



Anlieferung und Abtankung säure- und laugenhaltiger Reinigungskonzentrate laufen bei der Zott GmbH & Co. KG in Mertingen nach einem ausgeklügelten Konzept aus Sicherheits- und Verfahrenstechnik ab. Eine gut durchdachte und sehr sichere Lösung, findet die BGN. Sie zeichnete das Unternehmen mit dem BGN-Präventionspreis 2004 in der Kategorie »Betriebliche Sicherheitstechnik« aus.

Wenn der mit Säure oder Lauge-Konzentrat beladene Gefahrstoff-Lkw auf das Firmengelände der Molkerei Zott in Mertingen fährt, läuft hier alles wie nach Drehbuch. Jede Szene ist minuziös geplant und beschrieben – vom Ablauf bis hin zu den »Requisiten«. Nur wenn alles genauso wie im Drehbuch läuft, läuft auch die Abtankung von Lauge oder Säure im Betrieb.
Einmal pro Woche spielt sich ein solches Szenario in der Molkerei ab. Erste Station ist das Tor. Der Pförtner meldet dem Leitstand die Anlieferung, die auf diesen Tag terminiert ist, und veranlasst, dass der Tanklaster auf der Waage verwogen wird. Erst jetzt gibt`s freie Fahrt in die Abtankhalle. Im Leitstand prüft derweil ein Mitarbeiter anhand der Frachtpapiere, ob die angelieferte und bestellte Ware übereinstimmen. Der Fahrer zieht aus dem Gefahrstofftank des Fahrzeugs eine Probe, die ein Mitarbeiter des Labors von Zott nach der gültigen Spezifikation untersucht. Stimmen die Spezifikationsdaten, dann erteilt das Labor die Freigabe an den Leitstand.

Bild: Mann in Schutzkleidung



Zwei-Schlüssel-Prinzip
Der Mann im Leitstand vergewissert sich mit einem Mausklick, ob die Liefermenge auch in den Lagertank passt. Alles o.k. Erst jetzt gibt er grünes Licht in die Abtankhalle. Dort leuchtet auf einem Bedienfeld ein grünes Blinklicht auf. Dem schon bereit stehenden Entladekoordinator übergibt er den Schlüssel für ein Schlüsselkästchen in der Abtankhalle. Darin befinden sich alle notwendigen Schlüssel zum Freischalten der Abtankstation und des Abtankvorgangs.
Der Entladekoordinator macht sich auf den Weg hinunter in die Halle, wo er vor Ort den gesamten Abtankvorgang von Anfang bis Ende überwachen wird. Der Mitarbeiter im Leitstand verfolgt inzwischen auf einem zweiten Bildschirm, was die Überwachungskamera in der Abtankhalle aufzeichnet. Er sieht, dass der Gefahrgutfahrer gerade die Abtankbedingungen von Zott durchsieht und unterschreibt. Zu diesen

Bild: Alexander Ehle

Bedingungen gehört u.a., dass das Fahrzeug mit einer Totmannschaltung ausgestattet sein muss, mit der der Fahrer das Abtanken jederzeit stoppen kann. Ohne Totmannschaltung und ausreichende Schutzkleidung ist das Abtanken bei Zott verboten. Dann zieht der Fahrer die Vollschutzkleidung und den Gesichtsschutz an. Genauso angezogen kommt jetzt der Entladekoordinator in der Abtankhalle an.
Sicherheitsfachkraft Alexander Ehnle erklärt: »Wir tanken hier 50-prozentige Salpetersäure und 50-prozentige Natronlauge sowie Einphasenlauge und Einphasen­säure ab. Um Verwechslungen beim Abtanken dieser Medien auszuschließen, hat jedes Medium eine eigene Abtankstation mit eigenem Bedienfeld und eigenem Schlüsselkästchen. In jedem Kästchen befindet sich jeweils nur der Schlüssel für das passende Bedienfeld, also z.B. für das Abtanken von Natronlauge, und der Schlüssel für die entsprechende Abdeckhaube und den Blinddeckel der passenden Abtankstation.« Mit diesen Schlüsseln schließt der Entladekoordinator dann die Füllstation auf und entriegelt die Bedieneinheit, während der Gefahrgutfahrer den Schlauch anschließt. Der Koordinator kontrolliert noch einmal den Anschluss und schließt dann wieder die Abdeckhaube, die eine Aussparung für den Schlauch hat. Erst jetzt kann mit dem Schlüsselschalter am Bedienfeld das Abtanken gestartet werden. Das grüne Licht zeigt Dauerlicht. Das Medium fließt.
Alexander Ehnle erläutert: »Mit einem Positionsschalter an der Abdeckhaube wird sichergestellt, dass das Abtanken nur bei geschlossener Haube in Gang gesetzt werden kann.« Das ist wichtig, um zu verhindern, dass der unter Druck stehende Tankschlauch unkontrolliert umherschlägt, falls er sich lösen sollte. Hier könnte sonst Lauge oder Säure verspritzt werden. Bei geschlossener Haube läuft der Gefahrstoff dann lediglich unten aus der Füllstation heraus auf den Boden.

Ein Gesamtkonzept mit vielen Sicherheitsabfragen
Vor ein paar Jahren sah das Abtanken von Säure und Lauge noch anders aus. Doch dann führte ein Unfall zum Umdenken. Damals hatte sich der unter Druck stehende Tankschlauch aus der Kupplung gelöst. Der Fahrer des Gefahrstofffahrzeugs, der in der Nähe stand, wurde durch die herausspritzende Lauge schwer verletzt. So etwas sollte nicht wieder passieren können. Sicherheitsfachkraft Alexander Ehnle und Verfahrenstechniker Stephan Knapp entwickelten daraufhin zusammen ein komplexes Sicherheitskonzept, das weit über die Anforderungen der Behörden hinausgeht.

Bild: Stephan Knapp

Stephan Knapp erläutert: »Die geplante Verbesserung sollte mehr sein, als nur einzelne Schwachstellen zu beseitigen. Es sollte ein Gesamtkonzept werden, das optimale Sicherheit bietet. Dazu haben wir die ganze Prozesskette in viele Einzelschritte zerlegt und sie in eine Programmstruktur eingebunden. Das Abtanken wird nur freigegeben, wenn alle vorgegebenen Anforderungen erfüllt sind.« Und sobald z.B. aufgrund einer Störung eine Anforderung nicht mehr erfüllt ist, wird sofort automatisch die Stromversorgung und damit der Tankvorgang unterbrochen. Das passiert auch, wenn der Leitstand die Freigabe zurücknimmt oder der Zieltank meldet, dass er voll ist. Jederzeit kann natürlich auch an der Füllstation selbst das Abtanken mit der Ende-Taste gestoppt werden.
Alexander Ehnle erklärt: »Wir haben versucht, alle Eventualitäten, die sich unter normalen Voraussetzungen ereignen können, technisch abzusichern. Aber das Konzept ist mehr als eine rein technische Lösung. Es sind auch organi­satorische und personenbezogene Maßnahmen eingeflossen, da durch das menschliche Verhalten Gefährdungen mit eingebracht werden können. Das Ganze muss ja einen strukturierten Ablauf haben, damit es läuft – und alle müssen sich an den Ablaufplan und an die festgelegten Vorgaben halten. Dies haben wir bei Zott per Arbeitsanweisung und Betriebsanweisung vorgegeben und geschult. Von Anfang bis Ende.« Und das Ende ist erst erreicht, wenn der Lagertank ordnungsgemäß mit Säure oder Lauge gefüllt und der Abtankprozess beendet ist, wenn der Schlauch druck­los gemacht und anschließend abgekoppelt wurde, die Füllstation wieder verschlossen ist, die Schlüssel wieder in einem abgeschlossenen Kästchen hängen und der Schlüssel fürs Kästchen wieder im Leitstand angekommen ist. Das Prozess-Drehbuch für das Abtanken ist durchgespielt. Eine perfekte Szene – ohne Störung, Fehler und Unfall.

 

Autor: Braun