Stark trifft Schwach

Wenn Gabelstapler Fußgänger anfahren: Ursachen und Präventionsmaßnahmen

von Werner Fisi | aus Akzente 11

Gabelstapler sind stark, schnell, wendig und unentbehrliche Helfer in den Lager- und Ladebereichen der Unternehmen. Gabelstapler sind aber auch eine Unfallquelle mit hohem Gefährdungspotenzial, wie die rund 12.000 jährlichen Staplerunfälle in Deutschland zeigen. Am häufigsten sind Unfälle, bei denen Fußgänger angefahren werden. Das hat verschiedene Ursachen. Und häufig spielen sie ineinander.

Die meisten Gabelstaplerunfälle sind Unfälle, bei denen Fußgänger vom Stapler angefahren, überfahren oder eingequetscht werden. Am häufigsten geschehen solche Unfälle beim Rückwärtsfahren oder Zurücksetzen. Nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Betriebsfremde werden dabei angefahren oder eingequetscht. In vielen dieser Fälle beobachtet der Staplerfahrer den rückwärtigen Raum nur unzureichend oder gar nicht. Teilweise aber kann der Staplerfahrer den Fahrbereich wegen sehr enger, weil zugestellter Verkehrswege auch nicht ausreichend einsehen. Kommt dann jemand z. B. hinter einem Regal hervor, dann kann der Staplerfahrer ihn nicht mehr rechtzeitig sehen, um noch anhalten zu können. Unzureichende Sichtverhältnisse führen auch immer wieder zu Unfällen, bei denen Fußgänger von vorwärts fahrenden Gabelstaplern angefahren werden.

Die Unfallursachen

Gabelstaplerunfälle sind überwiegend auf falsches Verhalten zurückzuführen, insbesondere auf das Fehlverhalten von Staplerfahrern und auch auf das von Fußgängern. Detaillierte Unfalluntersuchungen zeigen allerdings immer wieder, dass zusätzlich zum Fehlverhalten meistens auch noch sicherheitswidrige Zustände und organisatorische Mängel für den Unfall mitverantwortlich sind. Diese Unfallursachen sind leichter auszuschalten als sicherheitswidriges Handeln, das auf komplexen Faktoren wie Übermüdung, Stress, Unkenntnis, Wahrnehmungsfehlern, Denkfehlern, persönlichen Problemen oder Unterschätzen einer Gefahr basiert.

Vom Stapler angefahren

Anhand nachfolgender Unfallbeispiele sollen Möglichkeiten einer Optimierung der Prävention in den Bereichen Lager und Verladung vorgestellt werden. Außerdem soll eine Hilfestellung bei der Gefährdungsbeurteilung gegeben werden.

Unfall 1: Zu gefährlichem Aufenthaltsort "gezwungen"

Die Leergutsortieranlage des Getränkebetriebs konnte die Menge an herbeigefahrenem Leergut nicht umgehend aufnehmen. So waren überzählige Paletten mit Leergut neben der Sortieranlage abgestellt. Mehrere Paletten reichten an den Fahrweg bis in den Bereich einer Kreuzung heran. Als ein Mitarbeiter an diesen Paletten die Umreifung entfernen wollte, musste er dazu in den Fahrweg treten. Dort wurde er von einem vorbeifahrenden Gabelstapler erfasst und mitgeschleift. Der Mann erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und Prellungen. Der Staplerfahrer hatte sich im Kreuzungsbereich am Deckenspiegel orientiert und dabei den Kollegen übersehen. Dieser trug dunkle Arbeitskleidung und war in diesem Hallenbereich schwer zu erkennen.

Unfall 2: Im toten Winkel

Neben dem Vollgutlager einer Brauerei standen in der Ladestraße vor einem Gabelstapler Paletten mit Bierfässern bereit, um auf einen Lkw geladen zu werden. Vor dem Beladen des Lkw kontrollierte ein Mitarbeiter die bereitgestellte Ladung. Als er damit fertig war, verließ er den Ladebereich und ging an der rechten Seite des Staplers vorbei. Der Staplerfahrer, der schon auf dem Stapler bereit saß, bekam davon nichts mit. Genau in dem Moment, als der Kollege an dem Stapler vorbeiging, fuhr der Staplerfahrer an und drehte dabei leicht ein. So kam es zur Kollision, bei der der Mitarbeiter einen Schienbeinbruch und Quetschungen am rechten Bein und weitere Verletzungen am linken Knöchel erlitt. Er hatte sich bei der Kollision im Rücken des Gabelstaplerfahrers und schräg hinter der Fahrerkabine befunden. In dieser Position behindern zum Teil die rechte hintere Säule der Fahrerkabine und das Auspuffrohr die Sicht des Staplerfahrers.

Unfall 3: Einfach aus der "Deckung" heraus

Ein Mitarbeiter wies bei der Arbeitseinteilung 3 Kollegen in der Produktionshalle ein. Zur selben Zeit rangierte dort ein Stapler. Die 4-köpfige Gruppe befand sich neben einer Gebäudestütze im Gang der Abfüllhalle, als der Staplerfahrer in diesem Gang Paletten absetzte. Anschließend überzeugte sich der Staplerfahrer im Spiegel, ob sein rückwärtiger Fahrweg frei sei. Dann fuhr er ohne Last langsam rückwärts. Plötzlich trat einer aus der Gruppe hinter der Gebäudestütze heraus in den Fahrweg. Dabei wurde sein Fuß vom linken Hinterrad des Staplers erfasst. Der Mann fiel hin und das Rad rollte über seinen Unterschenkel. Er erlitt schwere Quetschungen an Fuß und Unterschenkel.

GUT GELÖST

Automatisches Schrankensystem

Bei lorenz bahlsen snack-world in Neunburg vorm Wald entwickelte man ein automatisches Schrankensystem, das gefährliche Kreuzungen absichert. Bei diesem System sind die Gehwege durch Klappschranken gesperrt. Nähert sich nun ein Fußgänger, dann wird das von Lichtschranken erfasst. Dann schaltet sich zunächst eine Rundum-Leuchte ein. Sie warnt die Gabelstaplerfahrer: Achtung, ein Fußgänger möchte den Fahrweg kreuzen.

Die Staplerfahrer haben nun genug Zeit, um abzubremsen und anzuhalten. Erst nach etwa 4 Sekunden öffnet sich die Klappschranke. Dazu klappt sie in den Verkehrsweg hinein und stellt jetzt eine Barriere für den Staplerverkehr dar. Dem Fußgänger macht sie den Weg frei. Erst wenn der Fußgänger die Kreuzung passiert hat, schließt sich die Schranke wieder und die Rundum-Leuchte erlischt. Jetzt können die Stapler ungehindert weiterfahren.


Bewegungsmelder an Hallenaus- und -einfahrten

In einem anderen Nahrungsmittelbetrieb verbesserte man die Sicherheit an Hallenaus- und -einfahrten mittels Bewegungsmeldern. Sie befinden sich an der Hallenaußenfront und im Halleninneren ca. 20 m vor dem Tor. Wird ein Bewegungsmelder ausgelöst, dann warnen blinkende rote Lampen vor einem nahenden Stapler oder vor einem sich im Fahrbereich befindlichen Fußgänger.

Komplexe Ursachen

Die Auswertung der geschilderten Unfälle fördert komplexe Ursachen zu Tage, die über das Fehlverhalten der Beteiligten hinausgehen. Diese Ursachen lassen sich als mangelhafte betriebliche Organisation zusammenfassen. Im Einzelnen lässt sich feststellen:

Die Maßnahmen

Auch für den Betrieb von Gabelstaplern muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellt und immer wieder aktualisiert werden. Hierbei müssen die Sichtverhältnisse des Staplerfahrers eingehend untersucht und beurteilt sowie entsprechende Maßnahmen festgelegt werden. Dazu gehört auch eine Betriebsanweisung, die für das Verhalten aller Personen im Umfeld des Staplers maßgeblich ist.

Um Unfälle zwischen Fußgängern und Gabelstaplern zu vermeiden, muss das betriebliche Umfeld organisatorisch und technisch so gestaltet sein, dass Stapler und Fußgänger möglichst nicht aufeinander treffen. Das heißt, getrennte Verkehrswege für Gabelstapler und Fußgänger und die Trennung von Verladetätigkeiten und Fußgängerverkehr. Gute Konzepte berücksichtigen die Bequemlichkeit der Fußgänger. Sie vermeiden Umwege für Fußgänger, damit sie keine Abkürzungen durch für sie gesperrte Bereiche nehmen.

Ein absolutes Aufenthaltsverbot von Fußgängern in Rangier- und Verladezonen ist in der Praxis schwer umsetzbar. Allerdings sollte der Aufenthalt z. B. von Lkw-Fahrern, Labormitarbeitern, Kommissionierern oder Instandhaltern auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden.

Weitere Maßnahmen sind:
Betriebsanweisung/Fahrauftrag: In der Betriebsanweisung für alle Mitarbeiter und im Fahrauftrag für die Fahrer ist festgelegt, wie sie sich sicher verhalten müssen. Alle Mitarbeiter und alle Fahrer sind mit den Inhalten der Betriebsanweisung /des Fahrauftrags vertraut.

Kommunikation: Durch Kommunikation kann die Sicherheit im Ladebereich verbessert werden, z. B. wenn die Fahrer untereinander in Kontakt stehen und auch von außen direkt ansprechbar sind, z. B. vom Lagerleiter. Die Kommunikation kann durch den Einsatz von Funkgeräten verbessert werden.

Optische Hilfsmittel: Spiegel und Hohlspiegel an Kreuzungen und Tordurchfahrten sowie in der Nähe von Türen und an Durchgängen verbessern die Übersicht des Fahrers und der Fußgänger.

Verkehrswege: Die Verkehrswege für Gabelstapler und Fußgänger müssen deutlich erkennbar sein, z. B. durch Geländer, Ketten oder Bodenmarkierungen. Außerdem müssen die Wege konsequent freigehalten werden.

Beleuchtung: Extreme Helligkeitskontraste z. B. zwischen Hof und Halle sollten vermieden werden. Dies kann durch eine stärkere Beleuchtung im Ein- und Ausfahrbereich der Halle erreicht werden.

Warneinrichtungen: Warneinrichtungen wie Blinklichter oder Hupen informieren die Staplerfahrer, dass ein Fußgänger ihren Arbeitsbereich betritt.

Warnweste: Das Tragen von Warnwesten sollte für Fußgänger im Staplerbereich Pflicht sein.

Geschwindigkeit: Für einen flüssigen Verladevorgang ist die maximal erreichbare Geschwindigkeit nicht von Bedeutung. Für die Sicherheit im Lager sollte daher die Geschwindigkeit so weit wie möglich reduziert werden, gegebenenfalls durch Geschwindigkeitsbegrenzer (z. B. auf max. 10 km/h).

Fahrersitzerhöhung: Mit dieser Maßnahme lässt sich eine Verbesserung der Sicht über das Ladegut hinweg erreichen.

Kamerasystem: Eine möglichst hoch und möglichst weit vorne am Stapler angebrachte Kamera kann den toten Winkel vor der Last deutlich verkleinern. Der Fahrer sieht das Kamerabild auf einem Farbmonitor ein. Das Kamerasystem sollte auch über eine Rückfahrkamera verfügen. Ein Kamerasystem ersetzt nicht vollständig den direkten Blick auf den Fahrweg. Es kann aber diese und die anderen Maßnahmen wie die Trennung der Verkehrswege unterstützen.

Akustisches Rückfahrsignal: Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob der Einsatz eines automatischen akustischen Rückfahrsignals Sinn macht. Dabei muss die Anzahl der in dem Bereich eingesetzten Stapler, die Häufigkeit des Rückwärtsfahrens sowie die sonstigen akustischen und optischen Signale berücksichtigt werden.

Gabelstapler mit Drehkabine: Ein solcher Stapler kann bei eingeschränkter Sicht die komplette Kabine bis zu 180° drehen. Er bietet neben ergonomischen Sitzpositionen auch die Möglichkeit, die Last auf längeren Wegen hinter dem Gabelstapler zu führen. Bei der typischen Verladung von Getränken mit vielen Fahrtrichtungswechseln und kurzen Wegen müsste die Kabine allerdings häufig gedreht werden. Für die Verladung von Getränkepaletten scheint zudem die Tragfähigkeit noch zu gering zu sein.

BLAUES BLINKLICHT AUF DEM HALLENBODEN
Ein Frühwarnsystem für Fußgänger, das einen aus einer nicht einsehbaren Regalgasse herauskommenden Gabelstapler ankündigt, ist der "Blaue Punkt". Ein blinkender blauer Lichtpunkt auf dem Hallenboden, der schon von Weitem für Fußgänger gut sichtbar ist, kündigt den herannahenden Gabelstapler frühzeitig an.
Ein gebündelter Lichtstrahl projiziert den blauen Lichtpunkt auf den Boden. Das Licht stammt aus einem Blaulicht-Scheinwerfer, der am Dach des Gabelstaplers montiert und mit einem Blinkgeber gekoppelt ist. Alle handelsüblichen Gabelstapler lassen sich mit dem "Blauen Punkt" nachrüsten.

Mehr Infos: www.bgn.de, Shortlink = 1075

 

Autor: Fisi