Zwei tödliche CO2-Unfälle innerhalb von 10 Monaten im selben Betrieb / Wie sich die CO2-Gefahr sicher beherrschen lässt
von Karin Carl-Mattarocci
aus Akzente | Magazin für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Rehabilitation
Unfassbar, dennoch grausame Wahrheit: Innerhalb von 10 Monaten starben in einer Brauerei zwei Menschen an einer Kohlendioxid-Vergiftung: Erst der Seniorchef, dann der Braumeister. In beiden Fällen war ein Biertank zur tödlichen Falle geworden.

Gefahrenquelle Tankeinstieg
Von Kohlendioxid (CO2) geht eine tödliche Gefahr aus. Je nach Konzentration reichen wenige Atemzüge, um das Bewusstsein zu verlieren und/oder in Folge einer Atemlähmung zu ersticken. Das ist Tatsache und das ist in Betrieben, in denen CO2 auftritt, bekannt. Dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen die Gefährlichkeit dieses farb- und geruchlosen Gases unterschätzt, falsch bewertet oder nicht erkannt wird. Das zeigen tödliche CO2-Unfälle in Getränkekellern im Gastgewerbe und in der Getränkeindustrie, vor allem in Brauereien.
Auch bei den tödlichen Unfällen des Seniorchefs und des Braumeisters in einer Brauerei im Abstand von 10 Monaten war es so. In beiden Fällen hatte ein nur kurzes Hineinbeugen in einen Tank ausgereicht, um das Bewusstsein zu verlieren und anschließend zu ersticken (siehe Kasten). Beide Unfälle machen unmissverständlich deutlich: Selbst erfahrene, mit der Gefährlichkeit von CO2 vertraute Menschen sind nicht davor gefeit, Situationen falsch einzuschätzen.
Nur Freimessen gibt Gewissheit
CO2 ist ab einer Konzentration von 8 Vol.-% lebensgefährlich. Liegt die CO2-Konzentration über 10 Vol.-%, tritt kurzfristig der Tod ein. Doch wer kann verlässlich vorhersagen, ob in einem Tank oder Behälter (noch) eine tödliche CO2-Konzentration vorhanden ist? Die einzige sichere Methode, das herauszufinden, ist das Freimessen mit einem Gasmessgerät. Es liefert exakte Angaben zur momentanen CO2-Konzentration in der Atemluft im Tank. Auf die Freimessung kann beim Tankeinstieg – und hierzu gehört bereits das Hineinbeugen – in der Regel nicht verzichtet werden.
Erprobt und fehlersicher sind Messgeräte mit Infrarot-Sensoren (IR). Die Sensoren sind mindestens fünf, meist zehn Jahre haltbar und müssen danach ausgetauscht werden. Sensoren von Messgeräten, die auf Basis elektrochemischer Verfahren arbeiten, müssen dagegen üblicherweise bereits nach einem Jahr ausgetauscht werden. Voraussetzungen für den sicheren Einsatz von Gaswarngeräten sind immer die regelmäßige Prüfung und Kalibrierung nach Herstellervorgaben sowie die Einweisung der Mitarbeiter in deren korrekte Handhabung.
Die Messung muss eine sachkundige Person durchführen – und zwar an einer aussagekräftigen Stelle im Behälter. Je nach Größe und Geometrie der Behälter kann dazu neben dem Messgerät noch ein Hilfsmittel notwendig sein: beispielsweise eine lange Lanze. Je nach Messgeräteart ist eine ausreichende Wartezeit bis zur Anzeige eines konstanten Messwertes einzuhalten. Der ermittelte Wert wird dokumentiert – am besten in einem dafür erstellten Formblatt. Parallel informiert eine Betriebsanweisung über die Konzentrationsgrenze, unterhalb der ein Einsteigen in den Behälter noch gefahrlos möglich ist. Außerdem sollten die Benutzerinformationen des Messgeräteherstellers darin enthalten sein
Jeden Aufenthalt im Tank absichern
Generell fordert die BG-Regel "Behälter, Silos und enge Räume" (BGR 117-1), dass bei Arbeiten in ihrem Innern ein Sicherungsposten im Außenbereich eingesetzt werden muss. Verzichtbar ist er nur, wenn eine CO2-Gefährdung und Sauerstoffmangel ausgeschlossen sind. Ob und wie diese Bedingung im Einzelfall erfüllt ist, muss immer über eine Gefährdungsbeurteilung ermittelt und dokumentiert werden. In manchen Fällen kann die Mitnahme eines tragbaren CO2-Gaswarngerätes in den Behälter ausreichen. Ergibt sich aus der Gefährdungsbeurteilung die Notwendigkeit eines Sicherungspostens, dann muss dieser mit seinen Aufgaben inklusive Rettungsmaßnahmen vertraut sein. Er muss die Gefährlichkeit von CO2 kennen und wissen, dass er sich möglicherweise selbst gefährdet, wenn er ungeschützt in den Behälter einsteigt, um einen verletzten Kollegen zu bergen.
Vor allem im Notfall gilt: erst freimessen und gegebenenfalls lüften – nur so ist eine Eigengefährdung für den Retter auszuschließen! Andernfalls darf der Behälter nur mit von der Umgebungsluft unabhängigen Atemschutzgeräten betreten werden.
Die Absicherung der einsteigenden Person mit einem tragbaren Gaswarngerät ist immer dann notwendig, wenn Kohlendioxid in gefahrdrohenden Mengen nicht auszuschließen ist. Die vom Hersteller voreingestellten Alarmschwellen liegen in der Regel für den Voralarm bei 0,5 Vol.-% CO2 und für den Hauptalarm bei 1 bis 2 Vol.-% CO2. Meistens sind auch andere Alarmschwellen einstellbar. Das kann sinnvoll sein, um zu häufige Alarmierungen zu vermeiden, aber dennoch den Schutz der im Behälter arbeitenden Person sicherzustellen
| KURZES HINEINBEUGEN IN TANK FÜHRTE ZU BEWUSSTLOSIGKEIT UND TOD |
| Juli 2011: CO2 im Tankbodenbereich wird zur tödlichen Falle für erfahrenen Brauereichef Der Inhalt des stehenden Weizenbiermischtanks mit Klöpperboden war an diesem Tag unter Kohlendioxid-Atmosphäre abgefüllt worden. Nach dem Entleeren hatte man den Tank gereinigt. Vermutlich wollte der Seniorchef überprüfen, ob der Tank für die alkalische Reinigung und Desinfektion am Folgetag ausreichend sauber war. Er schaute durch die Mannlochöffnung und inspizierte den Tankboden. Dabei fiel ihm ein Kugelschreiber in den Tank. Bei dem Versuch, diesen aufzuheben, hatte er sich mit dem Kopf und mit beiden Armen bis zur Schulter in den Tank hineingebeugt. In dieser Haltung hatte ihn sein Sohn später tot aufgefunden. Aufgrund der Lage des Mannlochs und des Klöpperbodens konnte sich im unteren Bereich des Tanks auch nach der Entleerung eine gefährliche Kohlendioxid-Konzentration bilden. Mai 2012: Braumeister unterschätzt die unmittelbare Wirkung hoher CO2-Konzentration 10 Monate später fand man im selben Betrieb den Braumeister leblos im Mannloch eines Drucktanks. In diesen Drucktank sollte an diesem Tag Weißbier gepumpt werden. Dazu wurde er mit Kohlendioxid vorgespannt. Wahrscheinlich hatte der Brauer vergessen, den beim Umpumpen von Weißbier in einen Drucktank notwendigen Hefestecker von außen in den Tankauslauf einzusetzen. Als er das nachholen wollte, hatte er sich tief in den bereits mit CO2 vorgespannten Behälter hineingebeugt. Bei der dort herrschenden hohen Kohlendioxid-Konzentration verlor er das Bewusstsein und erstickte. |
Alle Gefährdungsmöglichkeiten beurteilen und bewerten

Für Arbeiten in Bereichen, wo CO2 vorhanden ist oder entstehen kann, sind die Gefährdungen zu ermitteln. Darauf aufbauend sind geeignete Schutzmaßnahmen festzulegen. Als praktikable Dokumentation hierfür sind tätigkeitsbezogene Betriebsanweisungen geeignet. Die beste Schutzmaßnahme ist immer die, sich der Gefährdung erst gar nicht auszusetzen. Ziel ist deshalb, nicht in die Behälter einzusteigen. Der Einsatz von Zielstrahlreinigern zum Reinigen insbesondere von großen, schwierig zu reinigenden Tanks und Behältern macht den Tankeinstieg zu Reinigungszwecken überflüssig. Ein gefahrloses Ableiten aller Gär- und Spanngase aus dem Tank direkt ins Freie lässt sich mit einer Ringleitung sicherstellen. Ist sie aus räumlichen Gründen nicht realisierbar, muss das Kohlendioxid direkt aus dem Behälter abgesaugt und gefahrlos abgeleitet werden.
Eine natürliche oder freie Lüftung, herbeigeführt durch Druck- oder Temperaturunterschiede, ist nur dann ausreichend, wenn die Arbeitsplatzgrenzwerte eingehalten sind und Sauerstoffmangel ausgeschlossen ist (AGW von CO2 als Schichtmittelwert = 0,5 Vol.-%). Für Räume unter Erdgleiche und für Tanks, Behälter oder Silos, die in diesen Räumen aufgestellt sind, reicht eine natürliche Lüftung erfahrungsgemäß nicht aus.
Raumkonzentration technisch überwachen
Die CO2-Konzentration in der Raumluft lässt sich mit einer stationären Gaswarnanlage überwachen. Es ist sicherheitstechnisch und energetisch sinnvoll, die Gaswarnanlage mit der Lüftung zu koppeln. Die Lüftung springt an, sobald die Voralarmschwelle überschritten wird. Löst das Gerät Hauptalarm aus, dann muss der Arbeitsbereich so lange verlassen werden, bis die CO2-Konzentration durch Absaug- oder Lüftungsmaßnahmen wieder unterhalb des kritischen Wertes liegt
| WUSSTEN SIE ... |
| … dass die toxische Wirkung von CO2 unabhängig von seiner sauerstoffverdrängenden Wirkung
ist? Den Sauerstoffgehalt zu erfassen
oder zu messen, reicht nicht, um die Vergiftungsgefahr durch CO2 auszuschließen. Gemessen werden
muss die CO2-Konzentration – mit
einem Gasmessgerät. Dagegen lässt sich mit dem sogenannten Kerzentest die CO2-Konzentration nicht ermitteln. Erlischt die Kerze, dann bedeutet das nur, dass zu wenig Sauerstoff für die Verbrennung vorhanden ist. Die CO2-Konzentration aber hat dann schon lebensgefährliche 8–10 Vol.-% erreicht. |