Beruf + krank = Berufskrankheit?

Wie Berufskrankheiten festgestellt und entschädigt werden
von Andreas Köllner

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Rückenbeschwerden nach stundenlanger Bildschirmarbeit, Herz-Kreislauf-Probleme durch zu viel Stress: Ursache solcher Beschwerden können Belastungen bei der beruflichen Tätigkeit sein. Wenn es darum geht festzustellen, ob eine Erkrankung eine Berufskrankheit ist, ist eine einfache mathematische Gleichung der falsche Ansatz. Eine Berufskrankheit ist eine arbeitsbedingte Erkrankung, die bestimmte rechtlich genau vorgeschriebene Kriterien erfüllt. Und diese Kriterien sind komplex. Der nachfolgende Artikel wirft einen Blick hinter die Kulissen und erläutert, wie eine Berufskrankheit festgestellt und entschädigt wird.

Das Image der Berufsgenossenschaften im Zusammenhang mit Berufskrankheiten ist nicht besonders gut. Immer wieder werden sie in Medienberichten angegriffen, in denen Erkrankungsfälle einseitig oder verkürzt und meist sehr emotional dargestellt werden. Unberücksichtigt bleibt leider meist die Tatsache, dass die Unfallversicherungsträger an eindeutige gesetzliche Vorschriften gebunden sind, die der Staat vorgibt. Diese Vorschriften legen die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit genau fest. Diese Voraussetzungen gemäß den gesetzlichen Vorgaben genauestens abzuklären, ist nur mit einem meist aufwendigen und langwierigen Ermittlungsverfahren möglich.
 
 
Berufskrankheit: Die Voraussetzungen
 
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Als Berufskrankheiten gelten Erkrankungen, die durch Einwirkungen verursacht werden, denen Berufstätige durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maß ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung. Damit ist gemeint, dass nur länger andauernde oder sich wiederholende körperliche Einwirkungen als Ursachen in Frage kommen. Typisch für solche Fälle sind auch sehr unterschiedliche und teilweise mehrere Jahrzehnte betragende Latenzzeiten. Unter Latenzzeit versteht man den Zeitraum zwischen einer schädigenden Einwirkung und dem Auftreten einer dadurch verursachten Erkrankung. Ein typisches Beispiel für eine lange Latenzzeit sind die Asbesterkrankungen. Hier tritt die Erkrankung in der Regel frühestens 10 Jahre nach dem Asbestkontakt auf.
Alle Erkrankungen, die als Berufskrankheit gelten, sind in der von der Bundesregierung aufgestellten Berufskrankheiten-Liste (BK-Liste) aufgeführt. Nicht in dieser Liste geführte Erkrankungen fallen laut Gesetz nicht unter den Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaften. Die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht durch die gesetzliche Unfallversicherung ist ausschließlich auf Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten beschränkt. Arbeitsbedingte Erkrankungen, die keine Berufskrankheiten sind - also nicht in der BK-Liste stehen -, fallen dagegen unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung.
Bei einigen Berufskrankheiten, wie z. B. beruflich bedingten Atemwegs-, Haut- oder Wirbelsäulenerkrankungen, hat der Gesetzgeber für die Entschädigung als Berufskrankheit noch eine weitere Bedingung festgelegt: Alle schädigenden Tätigkeiten müssen aufgegeben worden sein.  
 
 
Das Feststellungsverfahren
 
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In der Regel meldet der behandelnde Arzt der Berufsgenossenschaft den konkreten Verdacht, dass eine Berufskrankheit vorliegt. Doch auch wenn andere Stellen wie z. B. die Krankenkasse, der Arbeitgeber oder der Rentenversicherungsträger einen Berufskrankheiten-Verdacht anzeigen, wird die Berufsgenossenschaft tätig. Nach Eingang dieser Erstmeldung leitet sie das so genannte Feststellungsverfahren ein. Dazu das folgende Beispiel.
Peter Müller, ein 25-jähriger angestellter Bäckergeselle, stellt immer dann stärker werdende gesundheitliche Beschwerden fest, wenn er in der Backstube arbeitet, insbesondere wenn er mit Weizenmehl in Kontakt kommt. Die Nase läuft, die Augen tränen, Husten und zeitweise Atemnot machen ihm zu schaffen. Die Feinstaubmaske, die er seit einiger Zeit bei der Arbeit trägt, bringt kaum Linderung. Der hinzugezogene Lungenfacharzt äußert den Verdacht, dass Peter Müller an einer beruflich bedingten Atemwegserkrankung leidet. Er meldet diesen Verdacht der BGN.
Nach Eingang der Meldung setzt sich der Sachbearbeiter der BGN telefonisch mit Peter Müller in Verbindung. Er informiert ihn über die Möglichkeit, am Präventionsprogramm der BGN für atemwegserkrankte Bäcker teilzunehmen. Dieses Programm bietet erkrankten Bäckern die Möglichkeit, mit jeweils auf ihren individuellen Fall zugeschnittenen Maßnahmen in ihrem Beruf weiterzuarbeiten. Mit diesen Maßnahmen gelingt es in den meisten Fällen, die Erkrankung ganz einzudämmen bzw. erheblich zu lindern.  
Peter Müller sieht jedoch trotz der intensiven Beratung über das Programm für sich selbst keine Möglichkeit, als Bäcker weiterzuarbeiten. Seine Beschwerden seien zwischenzeitlich immer stärker geworden. Deshalb möchte er noch einmal von vorne anfangen und sich für einen neuen Beruf umschulen lassen.
Die BGN leitet daraufhin das Feststellungsverfahren ein. Der Berufskrankheiten-Sachbearbeiter schickt Peter Müller einen Fragebogen, um detaillierte Informationen über die Art der Beschwerden und den bisherigen beruflichen Werdegang zu erhalten und um zu erfahren, welche Ärzte Peter Müller wegen der Atemwegserkrankung aufgesucht hat. Die BGN braucht diese Angaben, um in einem ersten Schritt den Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit abzuklären.
 
 
Das Gutachten
 
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Nachdem der Sachbearbeiter den Fragebogen ausgewertet hat, ermittelt er möglichst lückenlos die Krankheitsvorgeschichte und erfragt die Arbeitsplatzbedingungen. Er schreibt dazu unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen die behandelnden Ärzte, die Krankenkasse und den Arbeitgeber an.
Sobald alle Unterlagen vorliegen, veranlasst die BGN ein umfangreiches medizinisches Zusammenhangsgutachten. Ziel dieser Untersuchung und Begutachtung ist es, zu klären, ob die Atemwegsbeschwerden in einem ursächlichen Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stehen. Die über mehrere Tage dauernden Untersuchungen des Gutachters umfassen neben einer eingehenden körperlichen Untersuchung auch Allergietests und Provokationstests an den Atemwegen mit Stoffen, die in einer Backstube vorkommen.  
 
 
Der Bescheid
 
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Peter Müller hat inzwischen aufgrund zunehmender Beschwerden seine Tätigkeit als Bäcker aufgegeben und ist arbeitsunfähig. Das nun der BGN vorliegende Gutachten ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer beruflich bedingten Atemwegserkrankung erfüllt sind. Einen Anerkennungsbescheid aber kann die BGN jetzt immer noch nicht an Peter Müller schicken. Die gesetzlichen Vorgaben verlangen, dass die Berufsgenossenschaft das Ermittlungsergebnis und die für die Entscheidung relevanten Unterlagen zunächst den für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen, z. B. der Landesanstalt für Arbeitsschutz, zur Stellungnahme vorlegt. Nach 4 Wochen kommen die Unterlagen an die BGN zurück. Erst jetzt darf der Sachbearbeiter Peter Müller den Bescheid über die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit zuschicken.  
Zwischen dem Eingang der Erstmeldung und der Anerkennung liegen 6 Monate, obwohl die BGN das Feststellungsverfahren zügig betrieben hat.  
 
 
Die Leistungen
 
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In der Zwischenzeit hat die zuständige BGN-Bezirksverwaltung in Dortmund Peter Müller schon zu einem Beratungsgespräch mit dem Leistungssachbearbeiter und dem Berufshelfer eingeladen, um das weitere Vorgehen und die Leistungsansprüche zu besprechen und weitere Verzögerungen zu vermeiden. Peter Müller erhält folgende Leistungen der BGN:
- Die BGN übernimmt die Kosten für eine geeignete berufliche Rehabilitationsmaßnahme. Nachdem Psychologen und Arbeitsmediziner zusammen mit Peter Müller dessen berufliche Eignung herausgearbeitet haben, schaltet die BGN das örtliche Arbeitsamt ein, um einen Weg zu finden, Peter Müller wieder dauerhaft in das Erwerbsleben einzugliedern. In Frage kommt eine Umschulung zum Bürokaufmann.
- Nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit als Bäcker hat er Anspruch auf Verletztengeld, das längstens bis zum Beginn der Umschulung gezahlt wird.
- Um seinen Lebensunterhalt während der Umschulung zu sichern, erhält er in dieser Zeit ein Übergangsgeld. Zusätzlich zahlt die BGN die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung.
- Die BGN übernimmt während der Umschulung auch Fahrt- und Verpflegungskosten sowie sämtliche anfallende Sachkosten wie Unterkunft, Bürobedarf, Arbeits- bzw. Berufsbekleidung etc.  
- Da Peter Müller seine Tätigkeit als Bäcker wegen der Berufskrankheit aufgeben musste, zahlt die BGN für die Dauer von 5 Jahren eine Übergangsleistung als Minderverdienstausgleich. Der Minderverdienst wird im ersten Jahr nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zu 100 Prozent ausgeglichen. Danach verringert sich der Ausgleich jährlich um jeweils 20 Prozent.  
- Falls Peter Müller wegen der Folgen der Berufskrankheit weiter in ärztlicher Behandlung bleiben muss, übernimmt die BGN die Kosten der Heilbehandlung.

aus: report. BGN-Nachrichten für Hotels, Gaststätten und Schausteller