Der Arbeitgeber hat entsprechend § 7 BioStoffV eine Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen durchzuführen. Dazu hat er sich vor der Aufnahme von Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen ausreichende Informationen zu beschaffen, die eine Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich biologischer Gefährdungen ermöglichen (§ 5 BioStoffV). Aus der Bewertung der Informationen hat die Ableitung von Schutzmaßnahmen zu erfolgen. Der Arbeitgeber hat sich fachkundig beraten zu lassen, sofern er nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse verfügt. Für fachkundige Beratung stehen die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der Betriebsarzt zur Verfügung.
(1) Im Bereich von abwassertechnischen Anlagen werden Tätigkeiten ausgeführt, bei denen Beschäftigte mit Abwasser, Klärschlamm, Materialien und Gegenständen umgehen, die biologische Arbeitsstoffe enthalten oder freisetzen (Aerosole) bzw. denen diese Stoffe anhaften. Prozessbedingt findet eine Vermehrung bestimmter biologischer Arbeitsstoffe statt. Beschäftigte kommen dabei mit biologischen Arbeitsstoffen in Kontakt, ohne dass diese Tätigkeiten auf diese ausgerichtet sind. Die auftretenden biologischen Arbeitsstoffe sind nicht abschließend der Spezies nach bekannt und es kommt zu einer mikrobiellen Mischexposition der Beschäftigten, wobei die Expositionsverhältnisse zeitlich starken Schwankungen unterliegen und auch räumlich sehr unterschiedlich sein können. Definitionsgemäß handelt es sich demnach um nicht gezielte Tätigkeiten im Sinne der BioStoffV.
(2) Die Gefährdung bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen wird maßgeblich durch deren Eigenschaften sowie Menge, Umfang der Freisetzung und Verbreitung, Art, Dauer und Häufigkeit des Kontakts bestimmt.
(3) Die Wege für die Aufnahme und Übertragung von biologischen Arbeitsstoffen sind:
Zu beachten ist, dass viele Infektionserreger nicht nur über einen sondern auch über mehrere der oben genannten Übertragungswege aufgenommen werden können.
(4) Es werden infektiöse, sensibilisierende und toxische Wirkungen unterschieden. Während bei den infektiösen Wirkungen die orale Aufnahme im Vordergrund steht, ist bei den sensibilisierenden und toxischen Wirkungen auch der inhalative Aufnahmepfad von Bedeutung. Die sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen von Mikroorganismen sind unabhängig vom Infektionspotential in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Hierfür typisch sind Mischexpositionen mit einer Vielzahl allergener und toxischer luftgetragener Komponenten. Bei diesen handelt es sich beispielsweise um Schimmelpilze oder Zellwandbestandteile lebender oder abgestorbener Mikroorganismen wie z. B. Endotoxine von gramnegativen Bakterien. Insbesondere endotoxinbelastete Aerosole gelten als Ursache akuter und chronischer Erkrankungen, wie z. B. von Organic Dust Toxic Syndrome (ODTS) und chronischer Bronchitis (s. Endotoxin-Informationspapier des ABAS). Mit Endotoxinen in deutlich höherer Konzentration im Vergleich zur Außenluft (mehrere 100 EU/m³) ist z. B. bei Reinigungsarbeiten in Kanalbauwerken zu rechnen.
Stäube, die Schimmelpilze enthalten, werden in der TRGS 907 "Verzeichnis sensibilisierender Stoffe" als sensibilisierende Gefahrstoffe bewertet.
Beispiele für Tätigkeiten mit möglicher Exposition gegenüber sensibilisierenden und toxischen biologischen Arbeitsstoffen sind z. B. manuelle Reinigungsarbeiten auf Anlagen und in Bauwerken wie
(5) Gemäß BioStoffV werden biologische Arbeitsstoffe entsprechend ihrem Infektionsrisiko in Risikogruppen eingeteilt. Im Anwendungsbereich dieser TRBA treten in der Regel biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppen 1 und 2 auf (s. Anhang 1 und 2).
(6) Werden Infektionserreger der Risikogruppe 3 nachgewiesen oder besteht ein begründeter Verdacht einer entsprechenden Infektion z. B. durch Stichverletzungen mit entsprechend kontaminierten Spritzen im Rechengut, kann dies jedoch zu einer besonderen Gefährdung für den Menschen führen.
(7) Eine Gefährdung aufgrund der Übertragung biologischer Arbeitsstoffe besteht auch durch Nagetiere, Vögel oder andere Tiere und deren Ausscheidungen.
(8) Tätigkeiten im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, die durch Krankheitserreger der Risikogruppe 4 ausgelöst werden, sind im Anwendungsbereich dieser TRBA nach bisherigem Kenntnisstand nicht bekannt.
Tätigkeiten in Abwassertechnischen Anlagen lassen sich grundsätzlich nach Tätigkeiten in der Abwasserableitung und in der Abwasserbehandlung unterscheiden. Folgende Tätigkeiten in abwassertechnischen Anlagen können aufgrund des Kontaktes mit biologischen Arbeitsstoffen zu einer Gefährdung führen:
Tätigkeitsbereich | Tätigkeit (Beispiele) |
Bau- und Sanierungsarbeiten, Betrieb und Instandhaltung bei der Abwasserableitung |
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Bau- und Sanierungsarbeiten, Betrieb und Instandhaltung bei der Abwasserbehandlung |
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Weitere Arbeiten |
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Hinweis: Die obige Auflistung ist als Beispielsammlung zu verstehen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Analyse von Abwasser- und Schlammproben im Labor fällt in den Geltungsbereich der TRBA 100.
Insbesondere Instandhaltungsarbeiten und Störungsbehebungen sind als Tätigkeiten mit besonders starkem Schmutzkontakt anzusehen. Die Aufnahme biologischer Arbeitsstoffe über die Atemwege betrifft z. B. Tätigkeiten, bei denen Hochdruckreiniger oder -spüleinrichtungen eingesetzt werden.
(1) Die Gefährdungsbeurteilung ist vor Aufnahme von Tätigkeiten durchzuführen. Bei Änderungen der Arbeitsbedingungen sowie bei den weiteren in § 8 BioStoffV genannten Anlässen ist die Gefährdungsbeurteilung zu aktualisieren. Eine erneute Gefährdungsbeurteilung ist auch notwendig, wenn dem Arbeitgeber Erkrankungen bei Beschäftigten bekannt werden, die auf entsprechende Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen zurückzuführen sein können. Bei der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen sind diese auch zur Zusammenarbeit bei der Gefährdungsbeurteilung verpflichtet (§ 8 ArbSchG).
(2) Wartungs- und Reinigungsarbeiten sowie Überwachungstätigkeiten sind auch Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung. Dazu sind die Häufigkeit der Arbeiten, die erforderlichen Tätigkeiten und die Expositionszeiten zu berücksichtigen.
(3) Bei der Beschaffung von Informationen für die Gefährdungsbeurteilung sind neben den zu erwartenden biologischen Arbeitsstoffen sowie Ausmaß und Dauer der Exposition, weitere Sachverhalte zu ermitteln, z. B.
(4) Bei der Gefährdungsbeurteilung sind auch Informationen über bekannte tätigkeitsbezogene Erkrankungen von Beschäftigten bei vergleichbaren Tätigkeiten zu berücksichtigen. Dabei ist auch auf sensibilisierende und toxische Wirkungen zu achten.
(5) Der Einsatz von mobilen Maschinen und Arbeitsgeräten ist in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Es sind mögliche Gefährdungen für Beschäftigte zu berücksichtigen, die z. B. durch Verschleppung biologischer Arbeitsstoffe auch über die Kleidung entstehen können.
(6) Hauptaugenmerk gebührt der oralen Aufnahme auf Grund von Hand-Mund-Kontakten (Schmierinfektion). Die inhalative Aufnahme von Aerosolen erfolgt vor allem bei Hochdruckspül- und Saugverfahren, über Belebungsbecken, durch Dunstbildung über Klärbecken und bei Arbeiten mit Hochdruckreinigern.
Eine besondere Gefährdung besteht beim Sturz ins Abwasser, da in diesem Fall eine Aufnahme biologischer Arbeitsstoffe sowohl oral, inhalativ als auch über die Haut, hier insbesondere über verletzte Hautpartien, erfolgt.
An besonderen Orten der Abwasserableitung und Aufbereitung wie z. B. Sinkkästen oder Rechen kann auch Verletzungsgefahr durch gebrauchte Kanülen auftreten.
In den Anhängen 1 und 2 wird ein Überblick gegeben, welche biologischen Arbeitsstoffe nach derzeitigem Stand im Abwasserbereich hinsichtlich einer Gefährdung der Gesundheit zu berücksichtigen und wie sie einzuschätzen sind.
(7) Eine Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung anhand von Beispielen gibt die technische Regel für biologische Arbeitsstoffe "Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen" (TRBA 400).
(8) Die in abwassertechnischen Anlagen verrichteten Tätigkeiten stellen nicht gezielte Tätigkeiten im Sinne der BioStoffV dar (§ 2 Abs. 5 BioStoffV). Nach dem derzeitigen Kenntnisstand über die möglichen Gefährdungen sind sie in der Regel der Schutzstufe 2 zuzuordnen. Mit der Durchführung der Maßnahmen nach dieser TRBA kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass er die Anforderungen der BioStoffV an die Schutzstufe 2 erfüllt. Die Maßnahmen dieser TRBA berücksichtigen auch die sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen biologischer Arbeitsstoffe.