(1) Biostoffe sind entsprechend des von ihnen ausgehenden Infektionsrisikos in die Risikogruppen 1–4 eingestuft, wobei u. a. ihre Pathogenität, die Schwere der Krankheit und die Vorbeugungs- bzw. Behandlungsmöglichkeiten maßgebliche Kriterien darstellen (siehe auch TRBA 450). Die Einstufung von Biostoffen in Risikogruppen leitet sich ausschließlich von deren Wirkung auf einen gesunden Menschen ab. Nur bei wenigen Schimmelpilzen ist ein infektiöses Potenzial vorhanden, das überwiegend bei erheblich abwehrgeschwächten Beschäftigten zum Tragen kommt. Sensibilisierende und toxische Wirkungen werden bei der Einstufung nicht berücksichtigt.
(2) Je nach Eintrittspforte unterscheidet man folgende Übertragungswege für Infektionserreger
Ggf. können auch mehrere Übertragungswege in Betracht kommen (siehe Anlage 1, Teil 4).
(3) Die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe TRBA 460–466 enthalten neben den EU-Legaleinstufungen ergänzende nationale Einstufungen von Biostoffen in Risikogruppen, u. a. auch Einstufungen der Risikogruppe 1, sowie ergänzende Hinweise, wie z. B. zum zoonotischen Potenzial oder zu sensibilisierenden und toxischen Eigenschaften:
Hinweis: Die TRBA 468 "Liste der Zelllinien und Tätigkeiten mit Zellkulturen" nimmt eine Einstufung von Zellkulturen vor.
(4) Informationen zum Vorkommen von Infektionserregern können den Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe und spezifischen Schriften der Länder oder der Unfallversicherungsträger entnommen werden (siehe Anlage 1 Teil 4). Ein nicht abschließendes Verzeichnis mit Informationen zum Vorkommen von Infektionserregern in verschiedenen Branchen und bei verschiedenen Tätigkeiten enthält Anlage 3.
(5) Es ist davon auszugehen, dass die Infektionsgefährdung grundsätzlich mit dem Ausmaß (Dauer, Häufigkeit und Höhe) der Exposition steigt. Es ist jedoch zu beachten, dass bereits ein einmaliger Kontakt für eine Infektionserkrankung ausreichend sein kann. Allerdings bedeutet das Vorkommen von infektiösen Biostoffen nicht zwangsläufig, dass es zu einer Infektionserkrankung kommt. Auch eine Besiedlung des Körpers führt nicht zwangsläufig zu einer Infektion. Hierfür ist das Zusammenwirken vieler Faktoren erforderlich, wie zum Beispiel das Infektionspotenzial, der Übertragungsweg, die Konzentration und die gesundheitliche Verfassung der Exponierten (z. B. Immunität aufgrund von Schutzimpfungen).
(6) In der Umwelt, z. B. in der Luft, im Erdreich und im Wasser gibt es ein natürliches Vorkommen von Biostoffen der Risikogruppen 1 und 2. Für gesunde Menschen stellt der Kontakt zu diesen Biostoffen in der Regel keine Infektionsgefährdung dar; bei verminderter Immunabwehr oder bei Verletzungen kann es jedoch zu Infektionen kommen.
(1) Unter Sensibilisierung wird die Verstärkung der Empfindlichkeit des Immunsystems gegenüber einer körperfremden, exogenen Substanz (Allergen) verstanden. Bei erneutem Allergenkontakt kann eine allergische Erkrankung auftreten.
(2) Biostoffe mit sensibilisierender Wirkung sind in erster Linie Pilze (primär Schimmelpilze), sowie einige Parasiten. Für Bakterien, mit Ausnahme thermophiler Actinomyceten, liegen bislang nur für wenige Arten Erkenntnisse über ein sensibilisierendes Potenzial vor, die im Wesentlichen auf Einzelfallbeschreibungen oder niedrigen Fallzahlen beruhen. Auch nicht lebensfähige Bakterien, Schimmelpilze (abgestorbene Zellen, Bruchstücke oder Sporen) und Parasiten oder ihre Bestandteile (z. B. Proteine) können zu Sensibilisierungen oder zu allergischen Atemwegserkrankungen führen. Beim sensibilisierenden Potenzial muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nicht zwischen den einzelnen Arten unterschieden werden. Von Viren ist kein sensibilisierendes Potenzial bekannt. Die sensibilisierende Wirkung ist unabhängig von der Risikogruppeneinstufung.
(3) Erfahrungsgemäß führt erst längerfristige Exposition gegenüber atemwegssensibilisierenden biologischen Arbeitsstoffen in hoher Konzentration zu einer Sensibilisierung bis hin zu schwerwiegenden allergischen Erkrankungen.
(4) Eine luftgetragene Schimmelpilzexposition als Auslöser einer allergischen Hautreaktion ist unwahrscheinlich.
(5) In wässrigen Medien erfolgt nur eingeschränkt ein Schimmelpilzwachstum; die Möglichkeit einer Sensibilisierung spielt somit keine oder nur eine untergeordnete Rolle.
(6) Zusätzliche Hinweise auf das sensibilisierende Potenzial von Biostoffen finden sich in der TRBA 460 "Einstufung von Pilzen in Risikogruppen" und in der TRBA 464 "Einstufung von Parasiten in Risikogruppen". Weitere Informationen enthält die TRBA/TRGS 406 "Sensibilisierende Stoffe für die Atemwege".
(1) Toxische Wirkungen können von Zellwandbestandteilen und von Stoffwechselprodukten von Bakterien und Pilzen ausgehen. Sie können unter anderem gebunden an luftgetragene Partikel über die Atemwege aufgenommen werden und sowohl akute als auch chronische Wirkungen hervorrufen.
(2) Beispiele für toxische Zellwandbestandteile sind Endotoxine oder ß-1,3-D-Glukane, die Bestandteile der Zellwand von gram-negativen Bakterien bzw. von Pilzen sind und Entzündungsreaktionen der Schleimhäute, Fieber, toxische Pneumonitis, chronische Bronchitis hervorrufen können. Zellwandbestandteile werden insbesondere beim Zerfall abgetöteter Bakterien oder Pilze freigesetzt.
(3) Beispiele für toxisch wirkende Stoffwechselprodukte sind Schimmelpilzgifte, die sogenannten Mykotoxine. Mykotoxine werden von zahlreichen Schimmelpilzarten als sekundäre Stoffwechselprodukte in Abhängigkeit von den Lebensbedingungen gebildet.
(4) Ausführliche Informationen zu Endotoxinen und Mykotoxinen können den jeweiligen Sachstandsberichten des ABAS entnommen werden [3, 4].
Übertragungsweg | Beispiele | Gefährdungen | ||
infektiös | toxisch | sensibilisierend | ||
über die Luft | Aufnahme von Bioaerosolen durch Einatmen | +1 | + | + |
Aufnahme von Bioaerosolen über Mund-, Rachen-, Nasenschleimhaut oder über die Bindehaut des Auges oder zu geschädigter Haut, z. B. Ekzem, Abnutzungsdermatosen, Neurodermitis | + | +2 | – | |
über den Mund | Berühren des Mundes mit verschmutzten Händen/Handschuhen, Gegenständen | + | – | – |
Verschlucken; auch von Nasen-, Rachensekret | + | – | – | |
über direkten Haut- oder Schleimhautkontakt | Spritzer, Kontakt auf Mund-, Rachen-, Nasenschleimhaut, Bindehaut des Auges oder Kontakt zu geschädigter Haut wie z. B. Ekzem, Abnutzungsdermatosen, Neurodermitis | + | + | – |
durch Verletzungen | Eindringen über Schnitt-, Stich- (z. B. Insektenstich) oder Bisswunden | + | + | – |
+ | Relevant aus Sicht des Arbeitsschutzes |
– | Nicht relevant aus Sicht des Arbeitsschutzes |
1 | Infektionen durch Pilze nur bei stark geschwächtem Immunsystem (z. B. Chemotherapie); aus Sicht des Arbeitsschutzes in der Regel nicht relevant. |
2 | Bei einer luftgetragenen Exposition gegenüber Endotoxinen kann es zu toxischen Wirkungen auf die Schleimhäute kommen. Eine toxische Wirkung an der intakten oder geschädigten Haut ist nicht bekannt. |