Unter Risiko wird in dieser TRGS die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Gesundheitsschadens durch die Exposition gegenüber krebserzeugenden Gefahrstoffen verstanden. Bei zunehmender Schadstoffdosis oder Expositionskonzentration eines krebserzeugenden Stoffes erhöht sich das Risiko bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nimmt zu. Nach intensiven toxikologischen, epidemiologischen und gesellschaftspolitischen Diskussionen wird die Arbeitsplatzexposition durch Festlegung von zwei stoffunabhängigen Risikogrenzen in drei Bereiche unterteilt:
Die Risikohöhen für die bezeichneten Risikogrenzen (Akzeptanz-, Toleranzrisiko) können nicht wissenschaftlich begründet, sondern nur gesellschaftspolitisch gesetzt werden. Dabei sind eine Reihe von Kriterien zu beachten, neben der Risikowahrnehmung sind dies z. B. die Schwere eines Gesundheitsschadens, das mögliche Schadensausmaß (Art des Schadens und/oder die Anzahl der Betroffenen), die Relation zu vergleichbaren anderen Arbeitsplatzrisiken, ein unmittelbarer Nutzen und die tatsächlichen und möglichen Risikominderungsmaßnahmen.
Als Ausgangspunkt für die Beratungen wurden verschiedene Risiken am Arbeitsplatz und für die Allgemeinbevölkerung betrachtet.
(1) An Arbeitsplätzen unterscheiden sich die bekannten Risiken eines tödlichen Unfalls erheblich (Alz: Arbeitslebenszeit [40 Jahre]):
Landwirtschaft | 3:1.000/Alz | |
Bauwirtschaft | 2:1.000/Alz | |
Bergbau | 3:1.000/Alz | |
Einzelhandel | 4:10.000/Alz |
(2) Das Risiko, durch die sieben wichtigsten luftgetragenen Umweltkarzinogene an Krebs zu erkranken, wurde für die Allgemeinbevölkerung 1992 vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) mit 1:1.000 für die Stadtbevölkerung und 2:10.000 für die Landbevölkerung berechnet.
(3) In mehreren staatlichen Regelungen zum Lebensmittel- bzw. Umweltbereich sind die maximal zulässigen Konzentrationen von Kanzerogenen reguliert. Diese Konzentrationen wurden nicht immer im Hinblick auf ein akzeptables Risikos abgeleitet, sie korrespondieren aber rechnerisch mit folgenden, jeweils auf die Lebenszeit (Lz) für die Allgemeinbevölkerung bezogene Risiken:
Arsen im Trinkwasser (10 µg/l) | 5:10.000/Lz | |
Dioxin in Lebensmittel (2 pg Teq/kg) | 3:10.000/Lz | |
Dieselruß (5 ng BaP/m³) | 2:10.000/Lz | |
Cadmium im Schwebstaub | 2:100.000/Lz. |
Die Dosis natürlicher Strahlen wird mit einem zusätzlichen auf die Lebenszeit (70 Jahre) bezogenen Krebsrisiko von 1:1.000 verbunden.
(1) Das niederländische Arbeitsschutzgesetz enthält in einer Liste von Luftgrenzwerten auch Werte für Kanzerogene. Das mit diesen Grenzwerten verbundene Risikoniveau darf in der Regel nicht höher sein als 1:10.000 pro Jahr. Wenn möglich, soll ein Risikoniveau 1:1.000.000 pro Jahr erreicht werden, unterhalb dessen keine besonderen zusätzlichen Schutzmaßnahmen mehr erforderlich wären. (Nach Umrechnung auf 40 Jahre Arbeitslebenszeit entsprechen die genannten Risiken 4:1.000 – entsprechend dem hier diskutierten Toleranzrisiko und 4:100.000 = Akzeptanzrisiko).
(2) Aus der Regulation in der Schweiz für Tätigkeiten mit asbesthaltigen Materialien und Benzol lässt sich ein stoffspezifisches Vorgehen unter Berücksichtigung praktischer Belange erkennen. Dabei errechnet sich das auf die Lebenszeit bezogene Akzeptanzrisiko für Asbest zu 4:100.000 und für Benzol zu 6:10.000.
(3) Für die deutsche Allgemeinbevölkerung hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ein akzeptables Risiko für eine stufenförmige Senkung von Konzentrationswerten in Höhe der "international diskutierten Risikogröße 1:100.000" genannt. Die Gesundheitsministerkonferenz folgte dem SRU und nennt das Lebenszeit-Risiko von 1:100.000 für Einzelsubstanzen als das Ziel einer stufenförmigen Senkung von Umweltkonzentrationen.
(4) Für die Regulation krebserzeugender Umweltschadstoffe werden u.a. folgende Risiken als Bewertungsmaßstäbe herangezogen:
Für die letzten beiden Punkte ist eine besondere Empfindlichkeit von Kindern gegenüber gentoxischen Kanzerogenen dabei ausdrücklich noch nicht berücksichtigt.
(5) Nach der Strahlenschutzverordnung ist eine maximale jährliche zusätzliche Strahlendosis von 20 mS zulässig, die zusätzliche Dosis bezogen auf das Arbeitsleben ist auf 400 mS begrenzt. Hieraus folgt ein zusätzliches Krebsrisiko von 2:100.
Das auf die Lebenszeit bezogene Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, liegt für einen Nichtraucher im Bereich von 5:1.000 bis 1:100, sofern er nicht zusätzlichen krebsauslösenden Faktoren ausgesetzt ist, wie z. B. Passivrauchen oder Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz.
(1) Die isolierte Festlegung von Grenzrisiken wird als nicht zielführend angesehen. Es wird daher ein begleitendes abgestuftes Maßnahmenkonzept mit drei Maßnahmenstufen festgelegt,
die den unterschiedlichen zusätzlichen Krebsrisiken Rechnung tragen.
(2) Das Akzeptanzrisiko wird definiert als das Risiko am Arbeitsplatz, bei dem aufgrund des verbleibenden niedrigen stofflich-assoziierten zusätzlichen Krebsrisikos keine weiteren zusätzlichen Schutzmaßnahmen von staatlicher Seite zu fordern sind. Dem gegenüber beschreibt das Toleranzrisiko die Schwelle, oberhalb derer Beschäftigte nicht exponiert werden sollen. Die damit vorgeschlagene Setzung von zwei Risikogrenzen oder drei unterschiedlichen Risikobereichen entspricht der nationalen wie internationalen Diskussion und eröffnet die Möglichkeit eines entsprechend abgestuften Maßnahmenkonzeptes. Wegen der Schwere möglicher gesundheitlicher Schäden kann eine Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen nicht gebilligt werden, es sei denn die Erkenntnisse zum Wirkmechanismus zeigen für einzelne Stoffe eine Wirkschwelle, unterhalb derer kein Gesundheitsrisiko besteht. Bei den vorgeschlagenen abgestuften Maßnahmen können künftig Stoffe entsprechend ihrer Bedeutung reguliert und hoheitliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr von Maßnahmen bei geringeren Risiken unterschieden werden, die keiner weiteren staatlichen Vorgaben mehr bedürfen und eigenverantwortlich durch die Arbeitgeber übernommen werden können. Gleichzeitig wird deutlich, welche Maßnahmen durchzuführen sind.
(3) Bei der Festlegung der Risikogrenzen wurden analoge Festlegungen in anderen Ländern und Regelungsbereichen berücksichtigt. Sie sind unter Nummer 2 beschrieben.
(4) Im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung muss an Arbeitsplätzen nicht mit dem gleichen Anteil besonders sensitiver Bevölkerungsgruppen gerechnet werden, desgleichen nicht mit Kindern, älteren oder chronisch kranken Menschen. Diese Einengung der Schutzzielgruppe mit dem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung verminderten möglichen Schadensausmaß und der Möglichkeit der arbeitsmedizinischen Vorsorge, einschließlich Beratung über die spezifischen Wirkungen ist zu beachten.
(5) Das Toleranzrisiko sollte unterhalb des in Nummer 2.3 beschriebenen Hintergrundrisikos für Krebserkrankungen liegen, so dass ein zusätzliches Risiko durch krebserzeugende Stoffe am Arbeitsplatz geringer ist als dieses stets vorhandene Hintergrundrisiko.
(6) Als Abstand zwischen Toleranz- und Akzeptanzrisiko wurde ein Faktor von 100 als erforderlich erachtet, um die Risikogrenzen angesichts der unvermeidlichen Ungenauigkeiten sowohl bei der Ableitung der stoffspezifischen Expositions-Risiko-Beziehungen als auch bei der Bestimmung der tatsächlichen Expositionen an Arbeitsplätzen deutlich zu unterscheiden.
(7) Es wird vorgeschlagen, ein Risiko von 4:100.000 als Akzeptanzrisiko anzustreben.
(8) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Überlegungen und der für die Akzeptabilität zu beachtenden Kriterien wird hierbei davon ausgegangen, dass für Beschäftigte ein zu der Allgemeinbevölkerung gleichermaßen ausreichend differenziertes wie vergleichbares Schutzniveau für das Akzeptanzrisiko erreicht wird.
(9) Angesichts der sehr hohen Anforderungen, die ein Erreichen eines Wertes in dieser Höhe für viele Tätigkeiten bzw. Verfahren und in vielen Bereichen mit sich bringt wird ein gestuftes Vorgehen vorgeschlagen.
(10) Während einer Einführungsphase soll diese Grenze vorläufig auf einen Wert von 4:10.000 festgesetzt werden. Abhängig von den Erfahrungen, die mit der Umsetzung des risikobasierten Grenzwertkonzepts für krebserzeugende Stoffe gewonnen werden, sollte der Übergang vom vorläufigen auf den endgültigen Wert des Akzeptanzrisikos frühestens fünf und spätestens zehn Jahre nach Einführung des Konzeptes erfolgen, d. h. zwischen 2013 und 2018.
(11) Der AGS wird die weitere Entwicklung der Exposition gegenüber krebserzeugenden Arbeitsstoffen begleiten, um eine verbindliche Absenkung des Akzeptanzrisikos auf 4:100.000 möglichst bald, spätestens jedoch nach zehn Jahren, zu erreichen. Da der endgültige Wert in den Betrieben vielfach erst als Ergebnis stetiger Verbesserungsprozesse erreicht werden kann, wird allen betroffenen Betrieben empfohlen, für entsprechende langfristige Planungen und Investitionsentscheidungen das endgültige Akzeptanzrisiko bereits ab Einführung des risikobasierten Maßnahmenkonzepts zugrunde zu legen.
(12) Stoffbedingte, zusätzliche Risiken durch Exposition am Arbeitsplatz an Krebs zu erkranken von größer 4:1.000 werden als nicht hinnehmbar (nicht tolerabel) angesehen. In einigen Industriezweigen überschreiten die Arbeitsplatzexpositionen die mit diesem Toleranzrisiko assoziierten Luftkonzentrationen. Der AGS wird ggf. für diese hoch belasteten Arbeitsplätze adäquate Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der Arbeitsplatzexposition erarbeiten.