3 Beurteilung der Arbeitsbedingungen

3.1 Gefährdungsbeurteilung

3.1.1

Vor Beginn der Tätigkeiten mit Biostoffen hat der Arbeitgeber gemäß § 4 BioStoffV eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und die Ergebnisse zu dokumentieren.

Die Gefährdungsbeurteilung ist die Basis für die Feststellung,

Tätigkeiten im Anwendungsbereich dieser TRBA sind nicht gezielte Tätigkeiten nach § 2 Absatz 8 BioStoffV. Aufgrund der Art der Tätigkeit und der Übertragungswege der erfahrungsgemäß auftretenden bzw. diagnostizierten biologischen Arbeitsstoffe ist zu prüfen, welcher Gefährdung die Beschäftigten ausgesetzt sein können. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Dauer der Tätigkeit und die Häufigkeit, in der sie ausgeübt wird. Arbeitsplatzaspekte, die Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten haben können, sind in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Hierzu gehören insbesondere Fragen der Arbeitsorganisation, z. B. Qualifikation der Ausführenden, psychische Belastungen und bestehender Zeitdruck. In diesem Zusammenhang sind die Personalausstattung, die Arbeitszeiten und die Pausengestaltung zu berücksichtigen.

3.1.2

Die Gefährdungsbeurteilung ist mindestens jedes zweite Jahr zu überprüfen und ggf. zu aktualisieren.

Eine Aktualisierung ist weiterhin immer dann durchzuführen, wenn Veränderungen, die die Sicherheit der Beschäftigten beeinträchtigen können, oder neue Informationen über Gefährdungen dies erfordern.

Hierzu gehören z. B.:

3.1.3

Die Gefährdungsbeurteilung muss fachkundig durchgeführt werden. Verfügt der Arbeitgeber nicht selbst über die erforderlichen Kenntnisse, hat er sich fachkundig beraten zu lassen. Anforderungen an die Fachkunde werden in der TRBA 200 "Anforderungen an die Fachkunde nach Biostoffverordnung" präzisiert.

3.1.4

Entsprechend der für die durchzuführenden Tätigkeiten ermittelten spezifischen Gefährdungen sind arbeitsmedizinische Aspekte in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen und fachkundig zu beurteilen. Vorrangig ist hierbei der bestellte Betriebsarzt zu beteiligen, welcher über die spezifischen Kenntnisse zu den Gefährdungen an den entsprechenden Arbeitsplätzen verfügt.

Arbeitsmedizinischer Sachverstand ist insbesondere hinzuzuziehen bei

a) Tätigkeiten mit Infektionsgefahren, bei denen
  eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge gemäß der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) zu veranlassen oder
  eine Angebotsvorsorge gemäß ArbMedVV anzubieten ist,
b) Tätigkeiten, bei denen
  Hygienemaßnahmen oder spezielle Desinfektionsmaßnahmen erforderlich sind,
  die Organisation spezieller Erste-Hilfe-Maßnahmen oder einer postexpositionellen Prophylaxe notwendig ist,
  persönliche Schutzausrüstung zu tragen ist (z. B. Schutzhandschuhe, Atemschutz) und
  Belastungen der Haut auftreten können, die Maßnahmen zum Hautschutz erforderlich machen.

3.2 Informationsbeschaffung

3.2.1

Die Gefährdung der Beschäftigten ergibt sich aus den durchgeführten Tätigkeiten und den biologischen Arbeitsstoffen, die dabei auftreten können.

Der Arbeitgeber hat deshalb zu ermitteln, welche Tätigkeiten ausgeübt werden und welche biologischen Arbeitsstoffe dabei erfahrungsgemäß vorkommen können.

Bei Tätigkeiten, bei denen Kontakte zu

stattfinden, muss mit der Möglichkeit des Vorhandenseins relevanter Krankheitserreger (siehe Nummer 3.3.2) gerechnet werden, soweit keine anderen Erkenntnisse vorliegen.

3.2.2

Die verbindlichen Einstufungen von biologischen Arbeitsstoffen in Risikogruppen sind den TRBA 460 für Pilze, 462 für Viren, 464 für Parasiten und 466 für Bakterien zu entnehmen. Maßgeblich für die Einstufung sind die infektiösen Eigenschaften des biologischen Arbeitsstoffes; sensibilisierende und toxische Wirkungen beeinflussen die Zuordnung zu einer Risikogruppe nicht und sind gesondert ausgewiesen.

3.2.3

Spezifische Informationen zu Erregern von Infektionserkrankungen gibt auf nationaler Ebene

Hilfestellungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung geben

Von Bedeutung sind weiterhin die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), die sich im Wesentlichen auf den Patientenschutz beziehen, aber auch Aspekte des Beschäftigtenschutzes enthalten.

Hinweis: Eine Zusammenstellung von Veröffentlichungen ist im Anhang 10 enthalten.

3.2.4

Zur Abschätzung der Relevanz einzelner Erreger ist die epidemiologische Situation im Einzugsbereich zu betrachten. Zur Informationsbeschaffung ist daher in medizinischen Einrichtungen eine enge Kooperation mit dem Hygienefachpersonal gemäß § 23 Absatz 8 Infektionsschutzgesetz (IfSG) notwendig. Ansonsten können die Gesundheitsämter einschlägig informieren. Aktuelle Informationen zur epidemiologischen Situation einzelner Erreger werden auch im Internet bereitgestellt, insbesondere auf den Seiten des Robert Koch-Instituts.

3.2.5

Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass bei der Verlegung, Überweisung oder Entlassung von Patienten, die an einer Infektionskrankheit leiden oder mit infektiologisch relevanten Erregern kolonisiert sind, Informationen über notwendige Schutzmaßnahmen, die zur Verhütung von Infektionen erforderlich sind, an die aufnehmenden oder die weiterbehandelnden Einrichtungen gegeben werden. Dabei sind die länderspezifischen Hygieneverordnungen auf Grundlage des § 23 Absatz 8 IfSG zu berücksichtigen. Der Schutz personenbezogener Daten ist zu beachten.

3.3 Übertragungswege und tätigkeitsbezogene Gefährdungen

3.3.1

Je nach Übertragungsweg unterscheidet man

3.3.2

Bei der Beurteilung tätigkeitsbezogener Gefährdungen sind insbesondere die mit der Tätigkeit verknüpften Expositionsmöglichkeiten in Verbindung mit den spezifischen Übertragungswegen möglicherweise vorhandener Krankheitserreger zu bewerten. So besteht für Beschäftigte, die Personen mit blutübertragbaren Infektionserkrankungen untersuchen, behandeln oder pflegen, ein erhöhtes Infektionsrisiko bei Tätigkeiten mit Kontakten zu Blut, insbesondere wenn diese verletzungsbedingt, z. B. durch Nadelstichverletzungen, auftreten können. Dagegen ist eine Gefährdung durch luftübertragene Krankheitserreger, z. B. bei Manipulationen in Mund, Nase, Rachenbereich oder Gesicht, von entsprechend infektiösen Patienten gegeben.

Gegebenenfalls können auch mehrere Übertragungswege in Betracht kommen. Manche Krankheitserreger sind aufgrund ihrer niedrigen Infektionsdosis oder hohen Virulenz sehr leicht übertragbar, z. B. Noroviren.

In der Tabelle 1 sind beispielhaft Vorkommen und Übertragungswege einiger Infektionserreger mit Tätigkeitsbeispielen aufgelistet.

Tabelle 1   Vorkommen und Übertragungswege einiger Infektionserreger mit Tätigkeitsbeispielen (nicht abschließend)
Material Infektionserreger Risiko-
gruppe
Übertragungswege
gemäß Nummer 3.3.1
beispielhafte Tätigkeiten
Blut Hepatitis-B-Virus (HBV) 3(**) verletzungs­bedingt, ggf. Kontakt zu Schleimhaut oder vorgeschädigter Haut Operationen;
Legen parenteraler Zugänge; Blutentnahmen
Hepatitis-C-Virus (HCV) 3(**)
Humanes Immun-defizienz-Virus (HIV) 3(**)
Wundsekret, Drainageflüssigkeit Staphylococcus sp. 2 Kontakt Wundversorgung, Verbandwechsel, Drainage­versorgung
Atemwegsekret (Sputum; Trachealsekret; Bronchoalveoläre Lavage) Saisonale Influenza-Viren 2 luftübertragen, Kontakt Absaugen; Tracheotomieren; Intubieren; Extubieren, Husten­provokation (Physikalische Therapie, Inhalation)
Corynebacterium diphtheriae 2
Streptococcus pyogenes 2
Haemophilus spp. 2
Mycobacterium tuberculosis-Komplex 3
Mageninhalt, Erbrochenes Noroviren 2 luftübertragen, Kontakt Gastroskopie; pflegerische Maßnahmen
Rotaviren 2
Stuhl Noroviren 2 Kontakt Operationen am Darm; Rekto-, Koloskopie; Materialgewinnung; pflegerische Maßnahmen
Rotaviren 2
Salmonella enteritidis 2
Salmonella Typhi 3(**)
Campylobacter spp. 2
Clostridium difficile 2
Hepatitis-A-Virus (HAV) 2
Hepatitis-E-Virus (HEV) 2

Im Internetauftritt des Robert Koch-Instituts finden sich in der Rubrik "Infektionskrankheiten A-Z" nähere Informationen zu einzelnen Erregern von Infektionskrankheiten sowie in dem erregerspezifischen "RKI-Ratgeber für Ärzte" auch Fachinformationen zu tätigkeitsbezogenen Gefährdungen.

3.4 Zuordnung zu Schutzstufen

3.4.1 Allgemeines

(1) Tätigkeiten in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes im Sinne der BioStoffV sind hinsichtlich ihrer Infektionsgefährdung einer Schutzstufe zuzuordnen.

Hierzu zählen Arbeitsstätten, in denen Menschen stationär medizinisch untersucht, behandelt oder gepflegt werden oder ambulant medizinisch untersucht und behandelt werden (siehe § 2 Absatz 14 BioStoffV).

Hinweis: Auch bei Tätigkeiten, die nach BioStoffV keiner Schutzstufe zugeordnet werden müssen, sind angemessene Schutzmaßnahmen festzulegen. Dies ist z. B. bei Tätigkeiten in der ambulanten Pflege der Fall, auf die in der Nummer 5.1 eingegangen wird. Da die hier durchgeführten Tätigkeiten zum Teil durchaus mit denjenigen mit Schutzstufenzuordnung vergleichbar sind, erfolgen entsprechende Querverweise.

(2) Es werden vier Schutzstufen in Abhängigkeit von der Höhe der tätigkeitsbedingten Infektionsgefährdung unterschieden. Den Schutzstufen sind spezifische Schutzmaßnahmen zugeordnet.

Da bei Tätigkeiten im Gesundheitswesen häufig keine konkreten Kenntnisse zu vorhandenen Krankheitserregern vorliegen, ist der mögliche Kontakt zu potenziell infektiösem Material, z. B. Körperflüssigkeiten, ausschlaggebend für die Zuordnung zu einer Schutzstufe.

Ist der Infektions- bzw. Kolonisationsstatus bekannt und liegt eine Infektionskrankheit oder eine Kolonisation des Patienten vor, so bestimmen Risikogruppe und Eigenschaften des biologischen Arbeitsstoffes, z. B. Infektionsdosis und Übertragungsweg, in Verbindung mit der Tätigkeit das erforderliche Schutzniveau und damit die Zuordnung zur entsprechenden Schutzstufe. Die epidemiologische Situation ist mit einzubeziehen.

(3) Arbeitsbereiche, in denen weitgehend Tätigkeiten der gleichen Schutzstufe stattfinden, können auch insgesamt dieser Schutzstufe zugeordnet werden.

So kann z. B. ein Operationsbereich (OP-Bereich) oder die unreine Seite der Zentralsterilisation insgesamt der Schutzstufe 2 zugeordnet werden, da hier weitgehend Tätigkeiten der Schutzstufe 2 durchgeführt werden.

Dagegen ist es nicht sinnvoll, das Patientenzimmer insgesamt einer bestimmten Schutzstufe zuzuordnen. Patientenzimmer stellen Bereiche dar, in denen neben Tätigkeiten der Schutzstufe 2,

auch Tätigkeiten der Schutzstufe 1,

Tätigkeiten, welche nicht unter die Biostoffverordnung fallen,

stattfinden.

3.4.2 Beschreibung der Schutzstufen

(1) Schutzstufe 1

Tätigkeiten, bei denen

sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen. Bei diesen Tätigkeiten sind die Mindestschutzmaßnahmen der Nummer 4.1 anzuwenden.

Beispiele für Tätigkeiten der Schutzstufe 1:

Tätigkeiten in Blutspendediensten können der Schutzstufe 1 zugeordnet werden, wenn nach Charakterisierung der Blutproben auszuschließen ist, dass Erreger der Risikogruppe 2 und höher vorliegen können. Dies ist der Fall, wenn es sich um einen klinisch unauffälligen Spender handelt und die Probenmaterialien HIV-, HBV- und HCV-negativ sind. In der Regel ist dann davon auszugehen, dass eine Infektionsgefährdung durch andere Krankheitserreger zwar nicht auszuschließen, aber dennoch unter Beachtung der allgemeinen Hygienemaßnahmen vernachlässigbar ist.

(2) Schutzstufe 2

Tätigkeiten, bei denen

sind in der Regel der Schutzstufe 2 zuzuordnen.

Bei Tätigkeiten mit Körperflüssigkeiten und -ausscheidungen, die bekanntermaßen Krankheitserreger der Risikogruppe 3(**) enthalten, ist anhand der Gefährdungsbeurteilung zu prüfen, ob eine Zuordnung der Tätigkeiten zur Schutzstufe 2 möglich oder ob im Einzelfall eine Zuordnung zur Schutzstufe 3 erforderlich ist, z. B. bei Gefahr von Haut- oder Schleimhautkontaminationen durch Spritzer.

Tätigkeiten, die der Schutzstufe 2 zugeordnet werden, sind z. B.:

(3) Schutzstufe 3

Tätigkeiten sind dann der Schutzstufe 3 zuzuordnen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

a) es liegen biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 3 vor, die schon in niedriger Konzentration eine Infektion bewirken können
  oder
  es können hohe Konzentrationen von biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe 3 auftreten
b) es werden Tätigkeiten durchgeführt, die eine Übertragung möglich machen, z. B. Gefahr von Aerosolbildung, Spritzern oder Verletzungen.

Dies gilt auch, wenn ein entsprechender Verdacht besteht.

In Ausnahmefällen kann dies auch auf biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 3(**) zutreffen (siehe auch Nummer 3.4.2 Absatz 2).

Die Behandlung eines Patienten mit offener Lungentuberkulose während der infektiösen Phase ist aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr über Aerosole der Schutzstufe 3 zuzuordnen.

(4) Schutzstufe 4

Tätigkeiten im Rahmen der Untersuchung, Behandlung und Pflege von Patienten, die mit einem hochkontagiösen lebensbedrohlichen Krankheitserreger (biologischer Arbeitsstoff der Risikogruppe 4) infiziert sind, oder bei denen ein entsprechender Verdacht vorliegt, sind der Schutzstufe 4 zuzuordnen. Biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 4 sind z. B. Ebola-, Marburg- oder Lassaviren.