4 Gefährdungsbeurteilung

4.1 Gefährdungen

(1) Zellkulturen sind biologische Arbeitsstoffe im Sinne der BioStoffV. Zellkulturen werden grundsätzlich in die Risikogruppe 1 eingestuft, da von den kultivierten eukaryontischen Zellen selbst keine Infektionsgefährdung ausgeht, auch nicht von Tumorzellkulturen, wie sich beim langjährigen Umgang gezeigt hat. Daher werden Tätigkeiten mit diesen Zellkulturen gemäß BioStoffV der Schutzstufe 1 zugeordnet (siehe TRBA 100 [1]).

(2) Allerdings können Zellkulturen zusätzliche biologische Arbeitsstoffe einer höheren Risikogruppe enthalten, die zu einer höheren Schutzstufe (2 bis 4) führen können:

4.2 Schutzstufenzuordnung

(1) Die Schutzstufe ergibt sich aus einer Gesamtbeurteilung der tätigkeitsbezogenen Gefährdung unter Berücksichtigung von Auftretenswahrscheinlichkeit, Möglichkeit der Abgabe infektiöser Partikel, Übertragungsweg, Menge und Infektiosität der biologischen Arbeitsstoffe und der Expositionssituation. Liegt hinsichtlich dieses zusätzlichen biologischen Arbeitsstoffes eine mit gezielten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung vor, ist die Schutzstufe entsprechend der Risikogruppe des zusätzlichen biologischen Arbeitsstoffs zu wählen. Liegt eine verglichen mit gezielten Tätigkeiten geringere Gefährdung vor, kann eine niedrigere Schutzstufe gewählt werden. Zur Vergleichbarkeit von gezielten und nicht gezielten Tätigkeiten siehe TRBA 100 [1].

(2) Folgende Informationen sind bei der Bewertung zugrunde zu legen:

A) Wird eine Zellkultur von einer anerkannten* (*anerkannt im Sinne der OECD Best Practice Guidelines for Biological Resource Centres [6]) Zellkultursammlung, z. B. in Deutschland dem Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ)1, bezogen, können bei der Gefährdungsbeurteilung die mitgelieferten Angaben zu Kontaminanten/Infektionserregern zugrunde gelegt werden. Die Tätigkeiten können dann der Schutzstufe 1 zugeordnet werden, wenn von der Zellkultursammlung keine Infektionen oder Kontaminationen angegeben werden.
B) Wenn die Zellkulturen nachweislich (dokumentiert) infektions- und kontaminationsfrei sind oder die Zellkulturen trotz Infektionen oder Kontaminationen keine für den Menschen pathogenen biologischen Arbeitsstoffe abgeben und somit nach dem Stand der Wissenschaft eine Gefährdung des Beschäftigten ausgeschlossen ist, können die Tätigkeiten in der Schutzstufe 1 durchgeführt werden (siehe auch Punkt D).
C) Tätigkeiten mit einer Zellkultur, von der bekanntermaßen zusätzliche biologische Arbeitsstoffe abgegeben werden, deren Identitäten bekannt sind und die einer Risikogruppe (siehe TRBA 460 bis TRBA 466 [4] und unter [5] im Literaturverzeichnis) zugeordnet sind, können eine mit gezielten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung aufweisen. Die Tätigkeiten sind dann entsprechend in der der Risikogruppe des zusätzlichen biologischen Arbeitsstoffes korrespondierenden Schutzstufe durchzuführen (siehe Nummern 4.2 und 4.3, TRBA 100 [1]).
D) Humane und nicht humane Primatenzellkulturen (insbesondere Primärzellkulturen), deren Infektions- bzw. Kontaminationsstatus nicht bekannt ist, werden als potenziell infektiös angesehen. Deswegen sind entsprechende Tätigkeiten mindestens unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 durchzuführen (siehe Nummer 4.3.2 TRBA 100 [1]).

Primäre humane Zellen von klinisch unauffälligen Spendern können in der Schutzstufe 1 gehandhabt werden, wenn durch geeignete Tests die Seronegativität des Spenders für das Humane Immundefizienzvirus (HIV), das Hepatitis-B-Virus (HBV) und das Hepatitis-C-Virus (HCV) nachgewiesen oder durch andere Verfahren gezeigt ist, dass die Zellen frei von diesen Viren sind.

Wenn ein begründeter Verdacht auf das Vorhandensein eines bestimmten biologischen Arbeitsstoffes einer höheren Risikogruppe in den zu verwendenden Primatenzellen besteht, ist auf diesen biologischen Arbeitsstoff zu prüfen oder in der Schutzstufe zu arbeiten, die mit der Risikogruppe des biologischen Arbeitsstoffes korrespondiert.
E) Tätigkeiten mit Zellkulturen aus Tieren (Primaten und Chiroptera ausgenommen) sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen, wenn
  • die Spendertiere keine Krankheitssymptome zeigen,
  • die möglicherweise vorhandenen biologischen Arbeitsstoffe nicht pathogen für den Menschen sind oder
  • die Spendertiere aus pathogenfreien Zuchten stammen.
Tätigkeiten mit Zellkulturen aus Ektoparasiten sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen, wenn sichergestellt werden kann, dass sie nicht an einem infizierten Wirt parasitiert haben. Gibt es trotzdem einen begründeten Verdacht, dass eine Infektion mit einem humanpathogenen Erreger vorliegt, so sind die Tätigkeiten mindestens der Schutzstufe 2 zuzuordnen.

Primäre Zellen von Chiroptera sind, auch wenn die Tiere keine Krankheitssymptome zeigen, in der Schutzstufe 2 zu handhaben, es sei denn, sie sind nachweislich frei von Tollwutviren und anderen bei Chiroptera vorkommenden humanpathogenen Viren (z. B. Hendravirus, Nipahvirus).
F) Wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Kontamination mit einem zusätzlichen biologischen Arbeitsstoff festgestellt wird, muss dies bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden.
G) Tätigkeiten mit pflanzlichen Zellen und Zellen, die nicht mit humanpathogenen biologischen Arbeitsstoffen infizierbar sind, sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen.
H) Handelt es sich bei den zusätzlichen biologischen Arbeitsstoffen um solche, die bislang noch nicht eingestuft wurden, muss der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 2 BioStoffV eine Einstufung nach dem Stand der Wissenschaft vornehmen.
I) Dient die Kultivierung der Zellen der gezielten Anreicherung von anderen biologischen Arbeitsstoffen, dann bestimmt die Risikogruppe des anderen biologischen Arbeitsstoffes die Schutzstufe.

(3) Bei Tätigkeiten mit Zellkulturen sind die Regeln der guten Zellkulturtechnik einzuhalten, um Kontaminationen mit biologischen Arbeitsstoffen höherer Risikogruppen während der Tätigkeit zu vermeiden.

(4) Werden trotzdem Kontaminationen mit biologischen Arbeitsstoffen einer höheren Risikogruppe festgestellt, sind die biologischen Arbeitsstoffe oder die Zellkultur durch geeignete Maßnahmen zu inaktivieren bzw. ist eine erneute Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

(5) Bei der Handhabung von Zellkulturen müssen ggf. weitergehende Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Zellkulturen etabliert werden, die über die Forderungen des Arbeitsschutzes hinausgehen.

Hinweis: Bei zusätzlichen biologischen Arbeitsstoffen müssen ggf. die seuchenrechtlichen Bestimmungen des Infektionsschutz-, Tierseuchen- oder Pflanzenschutzgesetzes beachtet werden. Darüber hinaus sind beim Versand oder Transport kontaminierter Zellkulturen inklusive der Medien die einschlägigen Bestimmungen des Transportrechts (Post, Straßen- und Flugverkehr u.a.) zu beachten.

 


1 Leibniz-Institut DSMZ: Inhoffenstraße 7B, 38124 Braunschweig, www.dsmz.de