4 Auswahl von Verriegelungseinrichtungen

4.1 Allgemeines

Ergibt sich aus der Risikobeurteilung nach DIN EN ISO 12100 [2] oder auf Grund einer Produktnorm die Notwendigkeit des Einsatzes einer beweglichen trennenden Schutzeinrichtung zur Risikoreduzierung, so ist eine geeignete Verriegelungseinrichtung auszuwählen.

Dabei sind u. a. folgende Kriterien zu berücksichtigen:

Die detaillierten Auswahlkriterien sind in den folgenden Abschnitten beschrieben.

Die Anforderungen an elektromechanische Positionsschalter sind in DIN EN 60947-5-1 [5] sowie den berufsgenossenschaftlichen „Grundsätzen für die Prüfung und Zertifizierung von zwangsöffnenden Positionsschaltern“ (GS-ET-15 [19]), die Anforderungen an Zuhaltungen in „Grundsätze für die Prüfung und Zertifizierung von Verriegelungseinrichtungen mit elektromagnetischen Zuhaltungen“ (GS-ET-19 [20]) geregelt.

Die Anforderungen an Näherungsschalter für Sicherheitsfunktionen sind in DIN EN 60947-5-3 [7] sowie den berufsgenossenschaftlichen „Zusatzanforderungen für die Prüfung und Zertifizierung von Näherungsschaltern für Sicherheitsfunktion“ (GS-ET-14 [18]) festgelegt.

Es wird empfohlen, sich vom Hersteller die Einhaltung der Bauanforderungen durch eine Baumusterprüfbescheinigung einer akkreditierten Stelle bestätigen zu lassen.

4.2 Auswahlkriterien - Überblick

Kriterien bei der Auswahl von Verriegelungseinrichtungen sind z. B.:

4.3 Umgebungsbedingungen

Verriegelungseinrichtungen müssen allen vorhersehbaren Umgebungseinflüssen während ihrer Lebensdauer standhalten. Dazu gehören z. B. Einflüsse wie Temperatur, Staub, Feuchtigkeit, Korrosion durch Salze, Säuren oder Laugen, Schwingungen und Stöße, mechanische Festigkeit und elektromagnetische Einflüsse.

In Bereichen mit besonderen Reinheits- oder Hygieneanforderungen sind ggf. Bauart 3 und 4 Verriegelungseinrichtungen besser geeignet als solche der Bauart 1 oder 2.

4.3.1 Schutzart

Der Schutz der Verriegelungseinrichtungen gegen Eindringen von festen Fremdkörpern und Flüssigkeiten muss angemessen sein. Dabei sind die äußeren Einflüsse, unter denen der Schalter betrieben wird (z. B. Staub, Kühlmittel und Metallspäne), zu berücksichtigen.

Für bestimmte Umgebungsbedingungen können Mindestschutzgrade normativ festgelegt sein.

Die in Tabelle 1 angegebenen Mindestschutzgrade gelten nur für elektrische Einbauräume.

Eine Kennzeichnung mit der zweiten Kennziffer „7 oder 8“ (z. B. IP 67) bedeutet nicht, dass auch zwangsläufig die Anforderungen an die Schutzarten mit der zweiten Kennziffer „5 oder 6“ (z. B. IP 65) erfüllt werden. D. h. dass eine Verriegelungseinrichtung mit der Schutzart IP X7 oder IP X8 nicht abgespritzt werden darf (z. B. mit Schlauch oder Hochdruckreinigungsgerät). In einem solchen Fall sind zusätzliche Schutzmaßnahmen zu treffen. (Nähere Informationen zu den Schutzarten siehe DIN EN 60529 [15].)

4.3.2 Verschmutzung am Einbauort von Bauart 2 Verriegelungseinrichtungen

Beim Einsatz von Bauart 2 Verriegelungseinrichtungen ist die mögliche Verschmutzung am Einbauort des Positionsschalters zu berücksichtigen. Da der Betätiger in das Schaltergehäuse eingeführt wird, weist dieses technologiebedingt eine Öffnung auf, in die auch Schmutz eindringen kann. Die angegebene Schutzart IP XX (vgl. Abschnitt 4.3.1) bezieht sich ausschließlich auf den elektrischen Einbauraum. Durch starke Verschmutzung der bewegten mechanischen Teile können Reibungskräfte entstehen, die zur Zerstörung der Mechanik und zu einem gefährlichen Ausfall des Schalters führen können.

Allgemeine industrielle Anwendungen IP 32, IP 43 und IP 54
Baustellenbereiche IP 54
Bereiche, in denen mit Niederdruck-Wasserstrahl gereinigt wirdIP IP X5
Anwendungen, die Schutz gegen feinen Staub erfordern IP 6X

Beim Einsatz von Bauart 2 Verriegelungseinrichtungen ist die mögliche Verschmutzung am Einbauort des Positionsschalters zu berücksichtigen. Da der Betätiger in das Schaltergehäuse eingeführt wird, weist dieses technologiebedingt eine Öffnung auf, in die auch Schmutz eindringen kann. Die angegebene Schutzart IP XX (vgl. Abschnitt 4.3.1) bezieht sich ausschließlich auf den elektrischen Einbauraum. Durch starke Verschmutzung der bewegten mechanischen Teile können Reibungskräfte entstehen, die zur Zerstörung der Mechanik und zu einem gefährlichen Ausfall des Schalters führen können.

Für Anwendungen, bei denen das Eindringen von Partikeln, Spänen oder Stäuben insbesondere in Verbindung mit Luftfeuchtigkeit nicht verhindert werden kann, können Bauart 2 Verriegelungseinrichtungen ungeeignet sein (Herstellerangaben beachten). Dies kann z. B. zutreffen auf den Einsatz in Kalksandsteinwerken, bei der Pulverlackierung, in der Lebensmittelbe- und -verarbeitung, in der spanabhebenden Holz- und Metallbearbeitung. Für diese Anwendungsfälle können z. B. Bauart 3 oder 4 Verriegelungseinrichtungen besser geeignet sein.

4.4 Zwangsöffnung bei Bauart 1 und 2 Verriegelungseinrichtungen

4.4.1 Zwangsöffnungsweg

Der Zwangsöffnungsweg, der vom Hersteller angegeben wird, ist der Mindestweg vom Beginn der Betätigung des Betätigungssystems bis zu der Stellung, in der die Zwangsöffnung der öffnenden Kontakte beendet ist. Dies ist der Fall, wenn die Kontaktöffnungsweite einen Mindestwert erreicht hat, der für die Unterbrechung eines Stromkreises als sicher gilt. Bei der Auswahl ist zu berücksichtigen, dass der Zwangsöffnungsweg immer erreicht ist, sobald die Schutzeinrichtung nicht mehr in Schutzstellung ist (siehe auch Abbildung 12).

4.4.2 Schleichschaltfunktion und Sprungschaltfunktion

Es gibt zwei verschiedene Funktionsprinzipien, die Schleichschaltfunktion und die Sprungschaltfunktion (siehe Abschnitt 3.3.3).

Sprungschaltelemente sind anderen Schaltelementen dann vorzuziehen, wenn z. B.

Bei der Auswahl von Positionsschaltern ist auf die Herstellerangaben hinsichtlich Schaltwegdiagrammen und Betätigungswegen zu achten.

4.5 Notwendigkeit einer Zuhaltung

Die Notwendigkeit einer Zuhaltung ergibt sich aus der Nachlaufzeit einer gefahrbringenden Maschinenfunktion und der benötigten Zugangszeit einer Person.

Die Nachlaufzeit ist das Zeitintervall zwischen dem Einleiten des Stoppbefehls durch das Öffnen einer trennenden Schutzeinrichtung und der Beendigung der gefahrbringenden Maschinenfunktion. Dabei gehen alle Reaktionszeiten der Verriegelungseinrichtung, sonstiger Teile der Steuerung und die Anhaltezeit bis zur Beendigung der gefährdenden Maschinenfunktion ein.

Die von einer Person benötigte Zeit zur Erreichung des Gefährdungsbereiches nach Auslösen des Stoppbefehls durch die Verriegelungseinrichtung wird Zugangszeit genannt.

Wenn die Nachlaufzeit (TN) des gesamten Systems größer oder gleich der von einer Person zum Erreichen der Gefahrenzone benötigten Zugangszeit (TZ) ist, muss eine Verriegelungseinrichtung mit Zuhaltung verwendet werden (siehe Abbildung 25).

Abb. 25 Notwendigkeit einer Zuhaltung

Die Zugangszeit kann aus dem Abstand zwischen Gefahrenzone und trennender Schutzeinrichtung zusammen mit der Annäherungsgeschwindigkeit des Körperteils berechnet werden (für nähere Erläuterungen zu Berechnungsmethoden siehe DIN EN ISO 13855 [14], Abschnitt 9).

Anmerkung:

Vielfach werden Zuhaltungen eingesetzt, um einen Arbeitsprozess nicht unnötig zu unterbrechen (Prozessschutz).

Anforderungen an den Personenschutz bezüglich der Zuhaltung müssen in diesem Fall nicht berücksichtigt werden. Die Anforderungen an die Stellungsüberwachung der Schutzeinrichtung müssen jedoch eingehalten werden.

4.6 Zuhaltekraft von Zuhaltungen

Eine Zuhaltung muss so ausgewählt werden, dass sie den zu erwartenden Kräften widersteht. Zieht eine erwachsene Person an einer Schutztür, treten üblicherweise Kräfte bis zu 1000 N auf. Die Spitzenwerte hierbei können im Einzelfall sogar bei bis zu 1300 N (siehe auch DIN EN ISO 14119 [8], Anhang I) liegen.

Die erforderlichen Zuhaltekräfte sind entweder in der entsprechenden C-Norm aufgeführt oder müssen durch den Konstrukteur nach einer Risikobeurteilung beispielsweise unter Berücksichtigung des Bedienpersonals, der Formgebung von Griffen usw. festgelegt werden.

Anmerkung:

Die zu erwartenden Kräfte beinhalten keine Manipulationsversuche mit schweren Hilfsmitteln wie beispielsweise Brecheisen.

Bei der Ermittlung der Kräfte müssen auch Hebelkräfte zwischen der Zuhaltung und dem Kraftansatzpunkt sowie dynamische Effekte wie z. B. Prellen berücksichtigt werden.

Sind die zu erwartenden Kräfte bekannt, kann damit eine geeignete Zuhaltung ausgewählt werden. Der Hersteller der Zuhaltung muss die Zuhaltekraft in den technischen Unterlagen und auf dem Typschild angeben.

Besonderheit bei elektromagnetischen Zuhaltungen:

Elektromagnetische Zuhaltungen für Sicherheitsfunktionen müssen so konstruiert sein, dass die Zuhaltekraft überwacht wird. Wird eine Mindestzuhaltekraft während des Prozesses unterschritten, muss ein „Stopp-Signal“ erzeugt werden.

Im Gegensatz zu einer mechanischen Zuhaltung führt ein gewaltsames Öffnen nicht zu einer Zerstörung mit dem dann erforderlichen Reparaturaufwand. Um die Motivation für ein gewaltsames Öffnen bei elektromagnetischen Zuhaltungen zu reduzieren, wird eine dem Reparaturaufwand vergleichbare Maßnahme notwendig. Dies kann eine Sperrzeit von mindestens 10 Minuten sein, in welcher ein erneuter Anlauf der Maschine nicht möglich ist, oder der Einsatz einer gleichwertigen Maßnahme.

4.7 Risikozeit bei Näherungsschaltern

Wird der Betätiger vom Sensor entfernt, so gibt es technologiebedingt zwischen dem korrekten Erfassen der Abwesenheit des Betätigers und dem Aus-Zustand der Ausgangsschaltelemente eine Reaktionszeit. Diese muss in der Nachlaufzeit des Gesamtsystems berücksichtigt werden.

Bei Bauart 3 und 4 Verriegelungseinrichtungen kann diese Reaktionszeit Werte > 300 ms erreichen. Während dieser Zeit entsprechen die Ausgangsschaltelemente nicht dem definierten Verhalten. Die Höchstdauer dieser Zeit wird deshalb Risikozeit genannt und muss bei Näherungsschaltern vom Schalterhersteller angegeben werden.

Abb. 26 Näherungsschalter mit Sensor (1), Sicherheitsausgängen (2) und Auswertegerät (3)

4.8 Abstimmung von Komponenten bei Verriegelungseinrichtungen mit Näherungsschaltern

Ein nach DIN EN 60947-5-3 [7] gebauter Näherungsschalter besteht, wie in Bild 26 dargestellt, aus einem Sensor mit Betätiger (1) und dem Auswertegerät (3) mit den Sicherheitsausgängen (2). Diese Komponenten sind vom Hersteller technisch aufeinander abgestimmt und werden mit den notwendigen Benutzerhinweisen ausgeliefert.

Achtung:

Werden Sensor und Auswertegerät einzeln, aber vom gleichen Hersteller bezogen, sind diese in der Regel technisch aufeinander abgestimmt, wobei immer die Hinweise der Benutzerinformation zu berücksichtigen sind. Werden Sensor und Auswertegerät getrennt und von verschiedenen Herstellern bezogen, ist diese Abstimmung nicht automatisch gegeben. In diesem Fall ist der Anwender, der die einzelnen Komponenten zu einem Sicherheitsbauteil zusammenfügt, für die Einhaltung der Normanforderungen verantwortlich. Dies betrifft z. B. die Kompatibilität der Signalpegel, den PL nach DIN EN ISO 13849-1 [9] oder die Ermittlung der Risikozeit, welche nur im Zusammenspiel aller Komponenten ermittelt werden kann.

Insbesondere bei Näherungsschaltern mit Reedkontakten, können unterschiedliche Signalpegel oder nicht aufeinander abgestimmte Ströme zu Beschädigungen am Sensor und damit zum Ausfall der Verriegelungseinrichtung führen.

4.9 Kaskadierung von Näherungsschaltern in Verriegelungseinrichtungen

Bei der Kaskadierung von Näherungsschaltern (Abbildung 27) mehrerer Schutzeinrichtungen besteht das Risiko der Überdeckung eines vom Auswertegerät bereits erkannten Einzelfehlers in der zweikanaligen Signalverarbeitung. Dies kann unbemerkt durch das Öffnen und Schließen einer anderen Schutzeinrichtung mit intaktem Positionsschalter erfolgen. Ein weiterer Fehler kann dann zum Versagen der Verriegelung führen.

Sofern die Risikobeurteilung ergibt, dass die Fehlerüberdeckung ein nicht akzeptables Risiko darstellt, sind zusätzliche Fehler erkennende Maßnahmen erforderlich, z. B.:

Abb. 27 Kaskadierung von Näherungsschaltern

4.10 Technische Unterlagen

Technische Unterlagen, wie z. B. Kataloge, Benutzerinformationen, Montageanleitungen oder auch Typschilder enthalten wichtige Angaben für die Auswahl von Verriegelungseinrichtungen.

4.10.1 Benutzerinformationen

Für den Einsatz von Verriegelungseinrichtungen für Sicherheitsfunktionen sind die Benutzerinformationen (Technische Daten, Montageanleitungen, Anschlussanleitungen) zu beachten.

Neben Angaben zu den unter Abschnitt 4.2 genannten Auswahlkriterien sind insbesondere folgende Herstellerangaben zu beachten:

zusätzlich für Näherungsschalter:

zusätzlich für Zuhaltungen:

Zusätzlich bei Kombination von Sensor und Auswertegerät unterschiedlicher Hersteller:

4.10.2 Aufschriften

Es dürfen nur Verriegelungseinrichtungen verwendet werden, die mit deutlich erkennbaren und dauerhaften Aufschriften und Kennzeichnungen versehen sind. Aufschriften und Kennzeichnungen dürfen durch Überlackierung nicht unlesbar gemacht werden.

Abb. 28 Beispiel eines Typschildes für eine Zuhaltung