Bei biologischen Gefahrenlagen im Sinne dieser TRBA handelt es sich um unvorhersehbare Ereignisse. Sie zeichnen sich aus durch:
Eine Gefährdungsbeurteilung, wie sie die TRBA 400 für den bestimmungsgemäßen Betrieb von z.B. Laboratorien und Produktionsstätten bzw. Tätigkeiten in der Forst- und Agrarwirtschaft oder im Gesundheitswesen vorsieht, ist deshalb nicht möglich. In der Regel liegen zu Beginn des Ereignisses keine genauen Informationen über die biologischen Agenzien vor. Gleiches gilt für Art und Ausmaß der Ausbringung und die örtlichen Gegebenheiten. Aus diesem Grund ist zuerst davon auszugehen, dass es sich bei den ausgebrachten biologischen Agenzien um Erreger der Risikogruppen 3 oder 4 oder um Toxine handelt. Bei der Festsetzung der Schutzmaßnahmen ist deshalb zunächst vom höchsten möglichen Gefährdungspotenzial auszugehen, d.h. die Tätigkeiten sind der Schutzstufe 4 zuzuordnen. Die Schutzmaßnahmen sind entsprechend zu treffen. Hierbei sind alle bekannten Aufnahmewege zu berücksichtigen.
Aufgrund der besonderen Situation kann bei solchen Gefahrenlagen die im Arbeitsschutz üblicherweise geltende Rangfolge der Schutzmaßnahmen (technische, organisatorische, persönliche) in der Regel nicht eingehalten werden. Organisatorische Maßnahmen und persönliche Schutzmaßnahmen erlangen daher besondere Bedeutung.
Bei biologischen Gefahrenlagen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass die ausgebrachten biologischen Agenzien ein hohes Infektions- oder Intoxikationspotenzial besitzen und eine ernste Gefahr, vorrangig für die Einsatzkräfte darstellen.
Grundsätzlich muss bei allen unklaren Ereignissen zusätzlich zu einer Personengefährdung durch Kontamination mit biologischen Stoffen eine Kontamination mit chemischen oder radioaktiven Substanzen oder auch die Möglichkeit der Explosionsgefahr in Betracht gezogen werden.
Zunächst ist das Ereignis, das zu einer biologischen Gefahrenlage geführt hat, zu berücksichtigen. Die Art bzw. Form der Ausbringung gefährlicher biologischer Agenzien kann eine maßgebliche Rolle für die Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen spielen.
Sobald konkrete Informationen für eine differenzierte Gefährdungsbeurteilung vorliegen, z.B. aufgrund des Ergebnisses der Erkundung, können die Schutzmaßnahmen spezifisch angepasst werden. Sie sollten immer dann angepasst werden, wenn dadurch die Belastung der Einsatzkräfte z.B. durch persönliche Schutzausrüstung (PSA) gemindert werden kann.
Beispiele für Tätigkeiten im Gefahrenbereich sind:
Bei Tätigkeiten im Gefahrenbereich handelt es sich um nicht gezielte Tätigkeiten nach § 2 Biostoffverordnung. Die betroffenen Institutionen/Organisationen sind insbesondere:
Bei den biologischen Agenzien handelt es sich zumeist um Infektionserreger, die in die Risikogruppen 3 oder 4 nach Biostoffverordnung eingestuft sind. Dazu gehören beispielsweise humane oder Affen-Pockenviren, Erreger des viralen hämorrhagischen Fiebers (z.B. Ebola, Lassa), Milzbranderreger (Bacillus anthracis), Erreger der Pest (Yersinia pestis), Erreger der Brucellose (Brucella spp.) sowie weitere Infektionserreger; hierzu existieren verschiedene Listen wie beispielsweise die Liste der EU (EU list of high threat pathogens) oder die Liste der Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Ein Beispiel für Toxine biologischen Ursprungs ist das Botulinumtoxin.
Infektionen können durch die Aufnahme von Infektionserregern oder Toxinen
Werden Einsatzkräfte zu einem Verdachtsfall einer biologischen Gefahrenlage gerufen, so treffen diese eine Erstbeurteilung der Lage und ziehen unverzüglich Polizei, Ordnungsbehörden sowie die Gesundheitsbehörden hinzu. Diese treffen je nach Beurteilung der Situation und der Infektionsgefährdung weitere Maßnahmen und beziehen weitere Einsatzkräfte ein.
Der Gefahrenbereich ist durch Abschätzung und ggf. durch Messungen festzulegen.
Einfluss auf die Ausdehnung des Gefahrenbereichs haben insbesondere:
Sollte es nicht möglich sein, diesen anhand objektiver Kriterien zu bestimmen, so wird empfohlen, einen Radius von mindestens 50 m um die Ausbringungsstelle als Gefahrenbereich festzulegen (siehe z.B. FwDV 500, Abb. 1). Bei regionalen Besonderheiten (z.B. Ausbreitungsmöglichkeit durch einen Wasserlauf) sind ggf. weitergehende Maßnahmen notwendig.
Biologisch kontaminiertes Gelände ist abzusichern (z.B. mit Flatterband) und mit dem Zeichen für Biogefährdung sowie dem Hinweis "Biogefährdung, Zutritt nur für Berechtigte" zu kennzeichnen. Zur Kennzeichnung sollte das Warnzeichen W 16 (gleichseitiges Dreieck, gelbe Grundfarbe) gemäß der Technischen Regel für Arbeitsstätten, Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung, ASR A1.3 Verwendung finden (siehe Abb. 3).
Abb. 3: Warnung vor Biogefährdung (gemäß ASR A1.3)
Tätigkeiten im Gefahrenbereich mit hohem Infektions- bzw. Kontaminationsrisiko durch biologische Agenzien können z.B. die Erkundung, das Retten, das Messen, die Probenahme, kriminalistische Ermittlungen und die Flächendekontamination sein. Das Festlegen und Kennzeichnen des Gefahrenbereichs vor Ort ist ebenfalls als Tätigkeit mit hohem Risiko einzustufen.
Diese Tätigkeiten werden von Sonderkräften mit entsprechendem Auftrag durchgeführt. Hierzu können z.B. Feuerwehr, Probenahmeteams, Rettungsdienst, THW sowie ggf. Polizei und Gesundheitsbehörden gehören.
Tätigkeiten im Gefahrenbereich mit noch bestehendem Infektions- und Kontaminationsrisiko sind z.B. das Einrichten eines Sammelpunktes und ggf. einer Patientenablage für kontaminierte Betroffene und Verletzte, bis hin zur Dekontamination/Desinfektion und Übergabe der Dekontaminierten in den Absperrbereich. Bei diesen Tätigkeiten ist die Belastung durch biologische Agenzien noch vorhanden, jedoch geringer als bei den unter Nummer 4.6 beschriebenen Tätigkeiten, d.h. es besteht noch ein Infektions- und Kontaminationsrisiko. Zum Einsatz gelangen Einsatzkräfte wie z.B. Dekontaminationsteams, Sanitäts- und Betreuungsdienste sowie ggf. Polizei und Gesundheitsbehörden.
Tätigkeiten in diesem Bereich sind z.B. das Aufbauen eines Behandlungsplatzes sowie die medizinische Versorgung und Betreuung von bereits dekontaminierten Betroffenen. Darüber hinaus werden hier alle technischen, taktischen und organisatorischen Tätigkeiten zur Gefahrenabwehr vor Ort und zur Sicherung der Einsatzkräfte im Gefahrenbereich durchgeführt. Dieser Grundsatz gilt auch für alle vor- und nachbereitenden Tätigkeiten der Schadensbeseitigung, sofern diese im Geltungsbereich dieser TRBA erfolgen. Zum Einsatz gelangen Einsatzkräfte mit entsprechendem Auftrag, wie z.B. der Rettungsdienst oder der Sanitäts- und Betreuungsdienst des Katastrophenschutzes.
Die erste medizinische Versorgung verletzter oder kontaminierter Personen ist eine Tätigkeit im Gefahrenbereich mit hohem Risiko (siehe Nummer 4.6). Der Transport zur weiteren Behandlung erfolgt über den Dekon-Platz. Neben den in dieser TRBA vorgesehenen Schutzmaßnahmen sind die Grundsätze der TRBA 250 "Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege" entsprechend anzuwenden.
Die Dekontamination von kontaminierten Materialien oder kontaminierten Personen erfolgt gemäß dem Stand der Technik durch spezielle Einsatzkräfte im Gefahrenbereich (vgl. Abb. 2 Dekon-Platz Schwarzbereich) und entspricht einer Tätigkeit mit noch bestehendem Infektions- bzw. Kontaminationsrisiko (siehe Nummer 4.7).
Bei den zu treffenden Schutzmaßnahmen ist zu berücksichtigen, dass neben der Gefährdung durch biologische Agenzien eine Gefährdung durch die bei der Dekontamination verwendeten Desinfektions- bzw. Dekontaminationsmittel auftreten kann. Die bei der Dekontamination dem Stand der Technik entsprechenden Desinfektionsmittel und -verfahren sind den Listen des RKI (Robert Koch-Institut) bzw. VAH (Verbund für angewandte Hygiene e.V.) und ggf. der DVG (Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft) zu entnehmen. Diese werden in der Regel von den zuständigen Gesundheits- und Veterinärbehörden angeordnet. Dabei sind die Umweltbedingungen wie die Temperatur und der Temperatur-Wirkbereich der Desinfektionsmittel zu beachten. So sind die Mittel der RKI-Liste zumeist nur bei Raumtemperatur getestet.
Nach erfolgter Dekontamination/Desinfektion können Verletzte im Dekon-Platz Weißbereich (vgl. Abb. 2) medizinisch versorgt werden, bis der Transport und die Versorgung in einem Krankenhaus möglich sind.
Bei starken Verletzungen, die dringender lebensrettender Maßnahmen bedürfen, ist möglicherweise nur eine Not-Dekontamination möglich. In solchen Fällen ist in Abhängigkeit von dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und den vermuteten biologischen Agenzien ein Sonderisoliertransport notwendig. Der Behandlungsbereich im Krankenhaus erfordert dann ggf. Schutzmaßnahmen der Schutzstufe 4 Patientenstationen (siehe auch TRBA 250).
Soweit die Probenahme oder Messung der Festlegung des Gefahrenbereichs dienen, sind sie als Tätigkeiten mit hohem Risiko einzustufen. Probenahmeverfahren bei biologischen Gefahrenlagen können sehr vielfältig sein. Deshalb gibt es kein Standardverfahren, das genau festlegt, wie bei der Probenahme vorzugehen ist. Es wird auf die Empfehlungen für die Probenahme zur Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verwiesen. Ggf. ist die Art der Probenahme mit dem untersuchenden Labor im Vorfeld abzusprechen.
Für die Verpackung der genommenen Probe und den Transport sind die gültigen Vorschriften zu beachten, die für die höchste anzunehmende Risikogruppe gelten (siehe Anhang 1).
Im Notfall kann der Probentransport bei biologischen Gefahrenlagen von gefahrgutrechtlichen Vorschriften freigestellt werden (GGVSEB-Durchführungsrichtlinien), wenn
Die Untersuchung von Verdachtsproben umfasst diagnostische Orientierungsuntersuchungen sowie – bei positiven Befunden – eine weitergehende Diagnostik zur endgültigen Identifizierung der vorhandenen Agenzien und Untersuchungen zu deren weiteren Differenzierung und Charakterisierung. Tätigkeiten im Rahmen von Orientierungsuntersuchungen sind nicht gezielte Tätigkeiten im Sinne der Biostoffverordnung. Tätigkeiten im Rahmen der weitergehenden Diagnostik sind in der Regel gezielte Tätigkeiten nach Biostoffverordnung. Die Untersuchung des Probenmaterials muss in geeigneten Laboratorien stattfinden, welche dem Stand der Technik nach TRBA 100 "Schutzmaßnahmen für gezielte und nicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien" entsprechen. Erste orientierende Untersuchungen können – sofern verfügbar und validiert – von den Einsatzkräften vor Ort durchgeführt werden. Weitergehende Informationen sind Anhang 3 zu entnehmen.