3 Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung

3.1 Gefahrstoffeigenschaften

3.1.1 Allgemeine Hinweise zu Eigenschaften

(1) Die gefährlichen Eigenschaften von Gasen werden im Wesentlichen durch die gefahrstoffrechtliche Einstufung und Kennzeichnung wieder gegeben und erkennbar. Einstufung und Kennzeichnung gasförmiger Gefahrstoffe sind daher auch Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Gasen. Gemäß CLP-Verordnung werden Gase entsprechend ihrer entzündbaren oder oxidierenden Eigenschaften sowie gemäß ihrer Gesundheits- und/oder Umweltgefahren eingestuft und gekennzeichnet. Unabhängig davon erfolgt nach CLP-Verordnung die Einstufung und Kennzeichnung als „Gase unter Druck“ (verdichtete Gase ab einem Überdruck von 200 kPa (2 bar), verflüssigte Gase, tiefgekühlt verflüssigte Gase und gelöste Gase). Die Einstufung und Kennzeichnung bei innerbetrieblichen Tätigkeiten erfolgt nach TRGS 201 „Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“. Ortsbewegliche Gasflaschen sind in der Regel auch mit einer Farbkennzeichnung versehen, die die Identifizierung des Inhalts auch aus der Entfernung erlaubt (z. B. im Gefahrenfall), siehe DIN 1089-3 /2/.

(2) Zusätzlich zu den einstufungsrelevanten gefährlichen Eigenschaften können Gase weitere Eigenschaften haben, die bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen und in den folgenden Absätzen 3 bis 15 aufgeführt sind.

(3) Temperatur und Druck beeinflussen die Eigenschaften von Gasen erheblich und hängen auch voneinander ab. So führt eine Temperaturerhöhung zu einer Druckerhöhung im Druckgasbehälter (durch Wärmeausdehnung bei Permanentgasen (siehe Nummer 3.1.2 Absatz 2) bzw. durch Dampfdruckerhöhung bei verflüssigten Gasen). Umgekehrt führt eine Druckerhöhung durch adiabatische Verdichtung zu einer Temperaturerhöhung. Bei verflüssigten Gasen führt die Temperaturerhöhung auch zur Ausdehnung der Flüssigphase und kann in geschlossenen Behältern bzw. Anlagen (z. B. bei Überschreitung der Füllfaktoren von ortsbeweglichen Druckgasbehältern) zu sehr hohen Drücken führen.

(4) Als entzündbar eingestufte Gase können ggf. zusätzlich pyrophor (selbstentzündlich) sein, d. h., sie können sich an Luft von selbst entzünden und dadurch besondere Brand- und Explosionsgefährdungen verursachen. Gemäß UN-GHS (und zukünftig gemäß CLP-Verordnung) werden Gase als pyrophore Gase eingestuft, wenn ihre Zündtemperatur ≤ 54 °C ist. Beispiele sind Silan oder Phosphan (veraltet Phosphin). Die Zündtemperatur kann z. B. in Anlehnung an DIN 51794 bestimmt werden.

(5) Gase können ggf. chemisch instabil sein, d. h., sie können ohne die Anwesenheit von Sauerstoff (oder Luft) explosionsartig reagieren (zerfallen). Im Allgemeinen handelt es sich dabei um entzündbare Gase wie z. B. Acetylen (Ethin), Ethylenoxid (1,2 Epoxyethan), Propadien oder Methylvinylether (Methoxyethen). Eine Liste mit einigen entzündbaren chemisch instabilen Gasen einschließlich Konzentrationsgrenzen ist im UN Handbuch über Prüfungen und Kriterien /3/ in Section 35 enthalten. Es gibt auch nicht entzündbare Gase, die chemisch instabil sind, wie z. B. Ozon oder Distickstoffoxid (Lachgas); diese werden aber gemäß CLP-Verordnung nicht als chemisch instabil eingestuft und gekennzeichnet.

(6) Gase können ggf. als solche oder in Verbindung mit Wasser oder Feuchtigkeit korrosiv wirken und dadurch Behälter- bzw. Konstruktionswerkstoffe angreifen. Beispiele sind Ammoniak, Schwefelwasserstoff oder Halogenwasserstoffe bzw. Gase, die durch Reaktion mit Wasser diese Gase bilden. Dazu zählen insbesondere Gase, die durch Reaktion mit Wasser Halogenwasserstoff bilden, wie z. B. Fluor, Chlor oder zahlreiche andere Gase, die Halogene enthalten. Durch Reaktion mit Wasser oder Feuchtigkeit können aber auch andere korrosive Stoffe entstehen, wie z. B. bei der Reaktion von Schwefeldioxid mit Wasser zu Schwefligsäure (veraltet Schweflige Säure).

(7) Gase können ggf. polymerisieren. Polymerisationsreaktionen können je nach Lager- bzw. Umgebungsbedingungen heftig und unter starkem Druck- und Temperaturanstieg oder langsam ablaufen. Beispiele für heftig ablaufende Reaktionen sind die Polymerisation von Ethylenoxid zu Polyethylenglykol, von 1,3 Butadien zu Polybutadienen oder von Ethylen (Ethen) zu Polyethylen.

(8) Sauerstoffgrenzkonzentrationen von entzündbaren Gasen im Gemisch mit den Inertgasen Stickstoff und Kohlendioxid sind in der TRGS 722 „Vermeidung oder Einschränkung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre“ in Nummer 2.3.3.2 Tabelle 1 aufgeführt. Explosionsgrenzen und Sauerstoffgrenzkonzentrationen für weitere Gasgemische sind in den sicherheitstechnischen Datenbanken GSBL /4/ und Chemsafe /5/ und in der Literatur /6, 7/ zu finden. Prüfmethoden für die Bestimmung von Explosionsgrenzen sind in DIN EN 1839 /8/ und für Sauerstoffgrenzkonzentrationen in DIN EN 14756 /9/ beschrieben.

(9) Im Allgemeinen werden Explosionsgrenzen für atmosphärische Bedingungen angegeben. Bei erhöhter Temperatur und/oder erhöhtem Druck weitet sich der Explosionsbereich in der Regel auf, d. h. die UEG verschiebt sich zu niedrigeren und die OEG zu höheren Werten. Deshalb kann ein Gas, das unter atmosphärischen Bedingungen keinen Explosionsbereich hat und dementsprechend nicht als entzündbares Gas eingestuft ist, bei erhöhter Temperatur und/oder erhöhtem Druck einen Explosionsbereich haben. Beispiele sind teilhalogenierte Kohlenwasserstoffe, wie z. B. das Kältemittelgas R134a.

(10) Ein erhöhter Sauerstoffgehalt oder ein anderes Oxidationsmittel als Luft verändern die Explosionsgrenzen ebenfalls. In reinem Sauerstoff ist der Explosionsbereich in der Regel erheblich aufgeweitet und insbesondere die OEG verschiebt sich zu höheren Werten.

(11) Andere Eigenschaften, wie z. B. oxidierende Eigenschaften oder chemische Instabilität, verändern sich ebenfalls in Abhängigkeit von Temperatur und Druck.

(12) Mit Ausnahme von Sauerstoff oder Luft (oder auch anderen Atemgasen) wirken Gase in genügend hohen Konzentrationen grundsätzlich erstickend, da sie den Luftsauerstoff verdrängen. Bei Kohlendioxid ist zu beachten, dass es auf das Atemzentrum wirkt und daher schon in wesentlich geringerer Konzentration als zur Verdrängung des Luftsauerstoffs erforderlich ist, eine erstickende Wirkung entfaltet.

(13) Gasgemische mit Gasen, die leichter als Luft sind (z. B. Wasserstoff), können durch die anderen Bestandteile im Gemisch eine höhere Dichte als Luft haben und sich daher in Bodennähe ansammeln. Die Gemische entmischen sich unter Einwirkung der Schwerkraft nicht.

(14) Befinden sich Gase unterhalb ihrer kritischen Temperatur, lassen sie sich verflüssigen. Bei entsprechenden Temperaturen kann es daher zur Kondensation von Gasen kommen, was ggf. zur Entstehung von Unterdruck im Druckgasbehälter oder in der Druckanlage und damit zu gefährlichen Zuständen führen kann.

(15) Tiefgekühlt verflüssigte Gase können aufgrund ihrer niedrigen Temperatur zu Kälteverbrennungen führen, wenn sie mit der Haut in Berührung kommen. Auch die Armaturen für solche Gase können sehr niedrige Temperaturen haben.

3.1.2 Einteilung der Gase in Gruppen

(1) Gase können aufgrund ihrer Eigenschaften in Gruppen eingeteilt werden. Die Einteilung erfolgt anhand der kritischen Temperatur und anhand bestimmter gefährlicher Eigenschaften (Entzündbarkeit, chemische Instabilität). Diese Einteilung in Gruppen ist in Anhang 1 für einige wichtige technische Gase angegeben. Daten für reine Gase sind in Anhang 1 Nummer A.1.1 enthalten und für Gasgemische in Anhang 1 Nummer A.1.2. Aus der Zuordnung zu einer Gruppe können grundlegende gemeinsame sicherheitstechnische Eigenschaften und Anforderungen abgeleitet werden. Weitere Eigenschaften, wie der Siedepunkt, die Dichte (bzw. die relative Dichte) und Informationen, die aus dem Gefahrgutrecht stammen, wie die UN-Nr. und der Klassifizierungscode sind dort zusätzlich angegeben. Diese Informationen können als Unterstützung für die Gefährdungsbeurteilung genutzt werden.

(2) Tabelle 1 in Anhang 1 enthält die sogenannten Permanentgase mit einer kritischen Temperatur Tk ≤ -50 °C. Diese Gase lassen sich auch unter Druck nicht verflüssigen (gilt für Temperaturen > -50 °C). Innerhalb von Tabelle 1 sind die Gase nach ihrer Entzündbarkeit in die Gruppen 1.1 und 1.2 unterteilt.

(3) Tabelle 2 in Anhang 1 enthält Gase mit einer kritischen Temperatur -50 °C < Tk ≤ 65 °C. Diese Gase lassen sich unter vergleichsweise hohem Druck verflüssigen (gilt für Temperaturen < Tk). Innerhalb von Tabelle 2 sind die Gase nach ihrer Entzündbarkeit und ihrer chemischen Stabilität in die Gruppen 2.1 bis 2.3 eingeteilt.

(4) Tabelle 3 in Anhang 1 enthält Gase mit einer kritischen Temperatur Tk > 65 °C. Diese Gase lassen sich bereits unter vergleichsweise geringem Druck verflüssigen. Innerhalb von Tabelle 3 sind die Gase nach ihrer Entzündbarkeit und ihrer chemischen Stabilität in die Gruppen 3.1 bis 3.3 eingeteilt.

(5) Darüber hinaus enthalten die Tabellen in Anhang 1 Bemerkungen und besondere Maßgaben, die für innerbetriebliche Tätigkeiten mit Gasen gelten, wie z. B. das Füllen für Zwecke der innerbetrieblichen Verwendung. Die Gefahrgutvorschriften einschließlich der Regelungen aus ADR /1/ und RID bleiben durch diese Bemerkungen und besonderen Maßgaben unberührt.

3.1.3 Gasgemische

(1) Gasgemische können die gleichen Gefahrstoffeigenschaften aufweisen wie reine Gase. Für innerbetrieblich hergestellte und nicht in Verkehr gebrachte Gasgemische wird eine entsprechende Einstufung nach CLP-Verordnung empfohlen (siehe dazu Anhang 2).

(2) Die Eigenschaften eines Gasgemischs werden auch durch die enthaltenen inerten Gase bestimmt, da diese in unterschiedlichem Maß inertisierend wirken. Argon wirkt beispielsweise wesentlich weniger inertisierend als Stickstoff. Zwei Gasgemische, die dasselbe entzündbare Gas oder dasselbe oxidierende Gas in derselben Konzentration enthalten, können daher – je nach Inertgas – trotzdem unterschiedliche Entzündbarkeit oder unterschiedliches Oxidationsvermögen haben. Der Explosionsbereich bzw. das Oxidationsvermögen eines Gasgemischs werden vom Inertgas mitbestimmt.

(3) Für einige Stoffe sind die bei Inertisierung sicher zu unter- oder überschreitenden Grenzwerte entzündbarer Gase und Dämpfe bei 100 kPa (1 bar) Gesamtdruck in TRGS 722 Nummer 2.3.3.2 Tabelle 1 angegeben.

(4) Gasgemische, die transportiert werden sollen, sind mit Ausnahme der Technischen Gasgemische mit eigener UN-Nr. einer Sammeleintragung nach ADR zuzuordnen. Diese Sammeleintragungen „n. a. g“ (nicht anderweitig genannt) sind über einen Klassifizierungscode den Eigenschaften erstickend (A), entzündbar (F), oxidierend (O), giftig (T) und ätzend (C) Gasgruppen zugeordnet.

(5) Gasgemische, die pyrophore Gase mit einem Stoffmengenanteil von mehr als 1 Mol-% enthalten, sind ebenfalls als pyrophor einzustufen, sofern keine anderen Erkenntnisse dazu vorliegen.

(6) Auch ein nicht entsprechend eingestuftes Gasgemisch kann, wenn es entzündbare und oxidierende Bestandteile enthält, unter Druck, z. B. in Druckgasbehältern, trotzdem gefährlich reagieren.

(7) Gasgemische, die chemisch instabile Gase, wie z. B. Acetylen, enthalten, können auch ohne Oxidationsmittel, wie z. B. Luftsauerstoff, gefährlich reagieren. Tabellen mit chemisch instabilen Gasen sowie entsprechenden Konzentrationsgrenzen sind im UN Handbuch über Prüfungen und Kriterien /3/ in Section 35 enthalten.

(8) Für Gasgemische, die gegenüber Behälter- und Konstruktionswerkstoffen korrosive Gase enthalten, kann keine allgemeine Konzentrationsgrenze festgelegt werden, unterhalb derer mit einer korrosiven Wirkung des Gasgemischs nicht mehr gerechnet werden muss. Sie hängt von dem enthaltenen korrosiven Gas ab, aber auch von den zu berücksichtigenden Werkstoffen. Hinweise auf die Korrosivität von Gasen finden sich z. B. in den Tabellen in Anhang 1.

(9) Bei der Herstellung von Gasgemischen ist zu berücksichtigen, dass auch die einzelnen Gase des Gemisches gefährlich miteinander reagieren können (siehe Nummer 3.2.8 und Anhang 3).

3.2 Gefährdungsermittlung und -beurteilung

3.2.1 Allgemeine Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung

(1) Der Arbeitgeber hat im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 Arbeitsschutzgesetz sowie § 6 GefStoffV und § 3 BetrSichV zu ermitteln, ob sich durch die Tätigkeiten mit Gasen Gefährdungen für die Beschäftigten oder andere Personen ergeben, und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung wird insbesondere auf die TRGS 400 und die TRBS 1111 sowie für die dermale und inhalative Exposition auf die TRGS 401 „Gefährdung durch Hautkontakt – Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmen“ und TRGS 402 „Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition“ verwiesen.

(2) Die wichtigsten Informationsquellen für die bei der Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gasen zu berücksichtigenden Eigenschaften der Gase sind die Kennzeichnung nach CLP-Verordnung und/oder nach den Gefahrgutvorschriften und das Sicherheitsdatenblatt nach Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 in der aktuellen Fassung sowie ergänzende Angaben des Herstellers.

(3) Weitere nützliche Informationsquellen sind die Sicherheitshinweise und Merkblätter des Industriegasverband (IGV) sowie DGUV-Regeln und Informationen (siehe Literaturverzeichnis).

(4) Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gasen können sich insbesondere ergeben durch

  1. den Druck von Gasen in Druckgasbehältern oder Druckanlagen (siehe dazu auch TRBS 2141),
  2. betriebsbedingte Freisetzung von Gasen,
  3. Freisetzung von Gasen z. B. durch unbeabsichtigtes Öffnen von unter Druck stehenden Anlagenteilen,
  4. Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb (Abweichungen von den zulässigen Betriebsparametern, Undichtigkeiten) und störungsbedingte Freisetzung von Gasen,
  5. Einwirkungen von außerhalb auf den Druckgasbehälter oder die Druckanlage,
  6. das Mischen von Gasen,
  7. erstickende Wirkung durch Verdrängung von Luftsauerstoff,
  8. unsachgemäße Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten.

(5) Erkenntnisse über Schadensursachen aus eigener Betriebserfahrung aber auch aus anderen Quellen sollen als Unterstützung bei der Gefährdungsbeurteilung und der Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen genutzt werden. Eine Gefährdung kann verschiedene und auch mehrere Ursachen haben (z. B. Undichtigkeit eines Anschlusses aufgrund einer beschädigten Dichtung oder unterlassener Dichtheitskontrolle nach der Montage oder Bersten eines Behälters aufgrund von Materialermüdung, Korrosion oder Fehlbedienung).

(6) Kann unter atmosphärischen Bedingungen die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre nicht vermieden werden, so gelten für die Festlegung explosionsgefährdeter Bereiche und die dort erforderlichen Schutzmaßnahmen Anhang I Nummer 1.6 GefStoffV. Für weitere Informationen siehe TRGS 720 ff. und TRBS 2152 Teil 3 ff. „Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre“. Für detaillierte Hinweise zur Einteilung explosionsgefährdeter Bereiche in Zonen siehe DGUV Regel 113-001 Anlage 4 (Beispielsammlung) Nummer 1 und Nummer 4.7 (Acetylen).

(7) Insbesondere bei

  1. zeitlich und örtlich begrenzten Tätigkeiten, bei denen nur für die Dauer dieser Tätigkeiten mit dem Auftreten gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre gerechnet werden muss,
  2. An- und Abfahrprozessen in Anlagen, die nur sehr selten oder ausnahmsweise durchgeführt werden müssen und
  3. Errichtungs- oder Instandhaltungsarbeiten

können die Maßnahmen für explosionsgefährdete Bereiche auch ohne Zoneneinteilung auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung festgelegt werden (siehe Anhang I Nummer 1.8 Absatz 4 GefStoffV). Für Explosionsgefährdungen während und durch Instandhaltungsarbeiten ist die TRBS 1112 Teil 1 zu berücksichtigen.

(8) Bei Tätigkeiten mit entzündbaren oder chemisch instabilen Gasen ist in der Gefährdungsbeurteilung auch die Bildung explosionsfähiger Gemische bzw. die Möglichkeit explosionsartiger Reaktionen zu ermitteln und zu berücksichtigen.

(9) Bei Tätigkeiten mit Gasen sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung verschiedene Bereiche und Abstände zu ermitteln und festzulegen, um die folgenden Gefährdungen zu berücksichtigen:

  1. Gefährdungen durch die mögliche Freisetzung von Gasen (siehe dazu Nummer 3.2.4 Absatz 4):
  2. a) Festlegung des Gefahrenbereichs (für die Begriffsbestimmung siehe Nummer 2 Absatz 11); in Bezug auf die entzündbaren Eigenschaften ist dies der explosionsgefährdete Bereich, siehe § 2 Absatz 14 GefStoffV;
    b) Festlegung des Sicherheitsabstands zu Schutzobjekten (für die Begriffsbestimmungen siehe Nummer 2 Absatz 12 und 13); der Sicherheitsabstand ist zu bestimmen für ortsfeste Druckanlagen für entzündbare oder akut toxische Gase bei Aufstellung im Freien;
  3. Gefährdungen durch mögliche auf die Druckanlage einwirkende Schadensereignisse (siehe dazu Nummer 3.2.5 Absatz 4):
     
    Festlegung des Schutzabstands (für die Begriffsbestimmung siehe Nummer 2 Absatz 14).

(10) Anhand der ermittelten Gefährdungen sind die erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen. Hierbei sind insbesondere auch die in der TRGS 500 „Schutzmaßnahmen“, TRGS 800 „Brandschutzmaßnahmen“ und der TRGS 720 ff sowie TRBS 2152 Teil 3 ff. beschriebenen Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen.

3.2.2 Berücksichtigung der Eigenschaften von Gasen in der Gefährdungsbeurteilung

(1) Die gefährlichen Eigenschaften von Gasen sind insbesondere vor dem Hintergrund ihrer hohen Volatilität (Flüchtigkeit) und der Handhabung unter Druck zu beurteilen.

(2) Die Kompatibilität von Gasen mit Konstruktionswerkstoffen hängt nicht nur vom Gas selber ab, sondern kann zusätzlich durch im Gas enthaltene andere Stoffe bestimmt sein, wie z. B. Verunreinigungen oder die Lösemittel Aceton oder Dimethylformamid (DMF) in Acetylen, die insbesondere Dichtmaterialien angreifen können oder ggf. auch durch Reaktionsprodukte. Korrosion kann auch durch Eintrag von Feuchtigkeit entstehen. Außerdem können auch durch Reaktion des Gases mit Feuchtigkeit entstehende Stoffe zu Inkompatibilitäten führen, z. B. die Entstehung von Halogenwasserstoffen, die zur Korrosion metallischer Werkstoffe führen können. Hinweise zur Auswahl geeigneter Werkstoffe finden sich z. B.

  1. für metallische Werkstoffe in DIN EN ISO 11114-1/10/,
  2. für nichtmetallische Werkstoffe in DIN EN ISO 11114-2/11/,
  3. für Kryo-Behälter in DIN EN 1797 /12/.

(3) Die Temperatur- und Druckabhängigkeit der Eigenschaften von Gasen ist zu berücksichtigen, d. h. Prozesse sind daraufhin zu überprüfen, ob erforderliche physikalische und chemische Parameter einschließlich der sicherheitstechnischen Kenngrößen, wie z. B. Explosionsgrenzen, auch für die relevanten Prozessbedingungen vorliegen oder ob ein Gas unter den Prozessbedingungen z. B. chemisch instabil wird oder polymerisieren oder in anderer Weise gefährlich reagieren kann.

(4) Es ist zu berücksichtigen, dass die Eigenschaften eines Gasgemischs auch von den enthaltenen inerten Gasen abhängen. Kenngrößen eines Gemischs lassen sich daher nur begrenzt auf ein anderes Gemisch übertragen, selbst wenn beide gleiche Konzentrationen haben und sich nur bezüglich des enthaltenen Inertgases unterscheiden.

(5) Chemisch instabile Gase bzw. Gasgemische, die ein entzündbares und ein oxidierendes Gas beinhalten, können unter Umständen explosionsartig reagieren. Hierbei sind neben den bekannten Zündquellen wie z. B. offene Flammen, Funken oder heiße Oberflächen auch weniger bekannte Zündquellen zu berücksichtigen, die insbesondere innerhalb von Druckgasbehältern oder Druckanlagen für Gase wirksam werden können. Beispiele dafür sind:

  1. Durch Entlastung eines unter höherem Druck stehenden Anlagenteils (z. B. eines Flaschenbündels) in ein unter geringerem/keinem Überdruck stehenden Anlagenteil (z. B. Rohrleitungen oder Schläuche zu den Entnahmeeinrichtungen des Bündels, Abblaseleitung) wird das Gas in den Rohrleitungen bzw. Schläuchen adiabatisch verdichtet und erwärmt sich. Durch diese Erwärmung kann unter Umständen die Zündtemperatur überschritten werden.
  2. Bei schnellen Strömungsvorgängen können mitgerissene Partikel wirksame Zündquellen sein.
  3. Katalytisch wirkende Stoffe, wie z. B. Rost, können den Zerfall chemisch instabiler Gase initiieren.

Zu Zündquellen ist die TRBS 2152 Teil 3 zu berücksichtigen, Diese TRBS bezieht sich zwar auf explosionsfähige Atmosphäre und nicht auf chemisch instabile Gase, liefert aber unabhängig davon hilfreiche Informationen über mögliche Zündquellen.

(6) Unter bestimmten Umständen kann der Druck in Druckgasbehältern oder Druckanlagen auch unter Atmosphärendruck absinken (d. h. es entsteht Unterdruck). Dies kann dazu führen, dass Luft (und damit Sauerstoff) oder andere Stoffe aus verbundenen Behältern oder Anlagenteilen eindringen und ggf. in gefährlicher Weise mit dem Gas reagieren können. Ursachen für die Entstehung von Unterdruck können sein:

  1. Gase, die sich unterhalb ihrer kritischen Temperatur befinden, können durch Abkühlung kondensieren. Die Kondensation ist temperatur- und druckabhängig und kann den Dampfdruckwerten für das Gas bei der entsprechenden Temperatur entnommen werden. Diese Verflüssigung des Gases kann ein Absinken des Drucks auch unter Atmosphärendruck zur Folge haben.
  2. Bei der Entnahme aus der Gasphase eines Druckgasbehälters mit verflüssigtem Gas sinkt die Temperatur durch die Verdampfung von Flüssigkeit. Erfolgt die Entnahme mithilfe von Pumpen, kann der Druck im Druckgasbehälter unter Atmosphärendruck absinken.

(7) Bei Tätigkeiten mit tiefgekühlt verflüssigten Gasen sind ihre niedrige Temperatur und die Möglichkeit von Kälteverbrennungen zu berücksichtigen.

(8) Das Ausbreitungsverhalten von Gasen (leichter als Luft oder schwerer als Luft) in Abhängigkeit von ihrer Dichte und in Abhängigkeit von dem Gemisch, in dem sie vorliegen, ist zu berücksichtigen. Eventuell zu ergreifende Maßnahmen sind daran zu orientieren, wie z. B. die Belüftung und die Positionierung von Gaswarngeräten.

(9) Die Konzentration von Gasen ist im Hinblick auf eine mögliche erstickende Wirkung zu beurteilen.

(10) Sauerstoff ist selbst nicht brennbar, ermöglicht und fördert aber die Verbrennung. Die Luft der Erdatmosphäre enthält 21 Vol.-% Sauerstoff. Schon eine geringe Anreicherung bewirkt eine lebhaftere Verbrennung, d. h. eine beträchtliche Steigerung der Verbrennungsgeschwindigkeit. Bei erhöhtem Sauerstoffgehalt der Luft kann sich z. B. aus einem Glimmbrand eine lebhafte Flamme entwickeln.

(11) Sauerstoff kann eine Selbstentzündung von ÖI und Fett sowie von Textilien, die mit ÖI und Fett verunreinigt sind, bewirken.

(12) Bei erhöhten Sauerstoffkonzentrationen können sich auch sicherheitstechnische Kenngrößen verändern. Beispiele sind obere Explosionsgrenzen, Staubexplosionsklassen, Druckanstiegsgeschwindigkeiten, Zünd- und Glimmtemperaturen, Explosionsdrücke und Flammentemperaturen. Einige nicht als entzündbar eingestufte Gase (Kältemittel, teilhalogenierte Kohlenwasserstoffe) können in Sauerstoff einen Explosionsbereich haben.

(13) Mit Ausnahme der Edelmetalle und der Metalloxide der höchsten Oxidationsstufe sind alle Konstruktionswerkstoffe in Sauerstoff, vor allem in verdichtetem Sauerstoff, brennbar. Das trifft auch auf Stoffe und Materialien zu, die in Luft nicht zur Entzündung gebracht werden können.

(14) Sauerstoff geht mit fast allen Elementen Verbindungen ein. Die meisten Stoffe reagieren mit Sauerstoff so heftig, dass sie entweder nach der Entzündung verbrennen oder sich sogar von selbst entzünden. Die Reaktionen können stark durch Fremdsubstanzen beeinflusst werden, die als Katalysator oder als Inhibitor wirken.

(15) Bei der Tieftemperatur-Luftzerlegung können sich im flüssigen Sauerstoff Kohlenwasserstoffe (z. B. Acetylen) anreichern. Bei einer Acetylenkonzentration von 5,6 ppm in flüssigem Sauerstoff kristallisiert das Acetylen aus und kann zu einer explosionsartigen Reaktion führen.

(16) Das Mischen von Gasen kann ihre Eigenschaften in gefährlicher Weise verändern, siehe dazu Nummer 3.2.8.

3.2.3 Berücksichtigung von Gefährdungen durch Tätigkeiten mit Gasen unter Druck

(1) Für Tätigkeiten mit Gasen sind bei der Gefährdungsbeurteilung alle Gefährdungen durch Druck sowohl beim bestimmungsgemäßen Betrieb als auch bei Abweichungen davon zu ermitteln (siehe auch TRBS 1111 und TRBS 2141).

(2) Mögliche Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gasen unter Druck für Beschäftigte und andere Personen können beispielsweise sein:

  1. Gefährdungen durch Druck:
    a) unkontrolliert bewegte Teile (z. B. wegfliegende Teile, schlagende Leitungen),
    b) Zerknall, Bersten (z. B. Druckwelle und weggeschleuderte Trümmerteile aufgrund des Berstens oder Zerknalls eines Druckgasbehälters bei Über- oder Unterschreiten der zulässigen Betriebsparameter),
  2. Gefährdungen durch spezielle physikalische Einwirkun-gen: Lärm (z. B. lautes Zischen durch plötzliches Austreten großer Gasmengen aus Druckentlastungsöffnungen),
  3. Kontakt mit heißen oder kalten Medien, z. B.:
    a) Unterkühlung/Festkleben der Haut bei Kontakt zu Luftverdampfern an Tanks für tiefgekühlt verflüssigte Gase,
    b) Verbrennungen der Haut durch Kontakt mit Oberflächen von Leitungen oder Druckgasbehältern, die sich durch adiabatische Verdichtung stark erwärmt haben,
    c) Erfrierungen/Festkleben der Haut durch Kontakt mit Gasen, die sich durch adiabatisches Entspannen stark abgekühlt haben, oder mit den entsprechend abgekühlten Armaturen,
  4. hohe Strömungsgeschwindigkeit (z. B. Einwirken eines Gasstrahls auf das Auge).

(3) Durch Öffnen von Verschlüssen, Klappen, Deckeln etc., die unter Druck stehen, kann eine Gefährdung durch die freigesetzte Energie entstehen. Beispiele sind Schnellöffnungsventile, Schnellverschlüsse, Lösen von Verbindungen bei der Demontage etc. Auch bei geöffneter Absperrarmatur ist nicht in jedem Fall eine vollständige Druckentlastung ge-geben, z. B. wenn der Entlastungsquerschnitt verstopft, verklebt oder zu gering ist. Für Hinweise dazu siehe z. B. DIN EN ISO 25760 /13/.

(4) Bei einigen Gasen können, insbesondere durch ungewollte Polymerisation von z. B. Butadien, Ethylen oder Propylen, Druckentlastungs- oder Druckmesseinrichtungen be-einträchtigt oder unwirksam werden und so unzulässig hohen Druck oder eine falsche Druckanzeige zur Folge haben.

(5) Bei der Verdichtung von Gasen, die Feuchtigkeit enthalten, wie z. B. Luft, kann diese Feuchtigkeit kondensieren und zu Korrosion führen.

(6) Ursachen für die in Absatz 2 genannten Gefährdungen können z. B. Materialversagen, Gas- oder Stoffunverträglichkeiten, Fehlbedienung oder unsachgemäße Aufstellung sein. Konkrete Beispiele für solche Ursachen und geeignete Maßnahmen sind in TRBS 2141 Teil 1 Nummer 3.1 sowie TRBS 2141 Teil 2 Nummer 3.1 aufgeführt. Die Ermittlung dieser Ursachen kann als Unterstützung bei der Gefährdungsbeurteilung und der Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen genutzt werden.

3.2.4 Berücksichtigung von Gefährdungen durch Freisetzung von Gasen

(1) Der Arbeitgeber hat zu ermitteln, welche Mengen von Gasen bei bestimmungsgemäßem Betrieb betriebsbedingt austreten. Dabei hat er insbesondere zu berücksichtigen:

  1. Füll- und Entleervorgänge,
  2. temperaturbedingte Ausdehnungen,
  3. Dichtheit des Druckgasbehälters oder der Druckanlage (z. B. technisch dicht oder auf Dauer technisch dicht, siehe dazu auch TRGS 722 Nummer 2.4.3),
  4. Spül- und Reinigungsvorgänge,
  5. Entspannung von Rohrleitungen,
  6. regelmäßig vorhergesehene Instandhaltungsarbeiten.

(2) Der Arbeitgeber hat darüber hinaus zu ermitteln, inwieweit durch vernünftigerweise nicht auszuschließende Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb größere Mengen von Gasen austreten können. Als vernünftigerweise nicht auszuschließende Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb sind insbesondere

  1. Leckagen (z. B. an Ventilen, Flanschverbindungen oder anderen Dichtflächen oder durch Korrosion),
  2. Freisetzung von Gasen beim Öffnen von Anlagenteilen (z. B. durch nicht erkannten Überdruck oder Fehlbedienung),
  3. Ansprechen von Sicherheitseinrichtungen, wie z. B. Sicherheitsventile oder Berstscheiben,
  4. Abriss von Schlauchverbindungen,
  5. Überschreiten zulässiger Füllungsgrade

auf Relevanz zu überprüfen und erforderlichenfalls zu berücksichtigen.

(3) Bei der Betrachtung sind die sicherheitstechnischen Kenngrößen des Gases sowie das Ausbreitungsverhalten (siehe Nummer 3.2.2 Absatz 8) zu berücksichtigen.

(4) Basierend auf der Freisetzung von Gasen gemäß Absatz 1 und 2 sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung Gefahrenbereiche festzulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gefährdungen ggf. auch außerhalb des Betriebsgeländes auftreten können, wenn sie von den Auswirkungen der entsprechenden Gasfreisetzung betroffen sein können. Der explosionsgefährdete Bereich ist der Gefahrenbereich, der sich aufgrund der entzündbaren Eigenschaften ergibt. Andere Eigenschaften, wie z. B. akut toxische Eigenschaften, sind separat zu beurteilen. Darüber hinaus sind für ortsfeste Druckanlagen für entzündbare oder akut toxische Gase bei Aufstellung im Freien Sicherheitsabstände zu Schutzobjekten festzulegen, siehe dazu TRBS 3146/TRGS 746 Nummer 4.5.3.2.

(5) Die Gefährdungen, die aus den möglicherweise austretenden Gasmengen im bestimmungsgemäßen Betrieb oder bei vernünftigerweise nicht auszuschließenden Abweichungen davon resultieren können, sind bei der Gefährdungsbeurteilung und bei den Maßnahmen zur Alarmierung (z. B. Gaswarneinrichtungen) und zur Gefahrenabwehr im Hinblick auf die Beschäftigen und andere Personen zu berücksichtigen.

(6) Der Arbeitgeber hat zu beurteilen, ob aufgrund der schnellen Ausbreitung von Gasen eine selbstständige Flucht von Beschäftigten und anderen Personen unmöglich werden kann.

3.2.5 Berücksichtigung von Gefährdungen durch Einwirkungen von außerhalb der Druckanlage

(1) Der Arbeitgeber hat zu ermitteln, inwieweit durch vernünftigerweise nicht auszuschließende Einwirkungen aus dem Bereich um die Druckanlage Gefährdungen auftreten können.

(2) Als Einwirkungen sind insbesondere zu betrachten:

  1. Brand im Umfeld der Druckanlage,
  2. umgebungsbedingt wahrscheinliche Naturereignisse wie Blitzeinschlag, Hochwasser oder Erdbeben,
  3. Einwirkung durch Unbefugte,
  4. Energieeinwirkungen aus anderen Anlagen oder Tätigkeiten,
  5. Zwischenfälle mit kraftbetätigten Fahrzeugen.

(3) Die durch diese Ereignisse entstehenden Einwirkungen sind mit der Auslegung der Druckanlage abzugleichen und in der Gefährdungsbeurteilung und bei den Notfallmaßnahmen zu berücksichtigen.

(4) Ausgehend von den Einwirkungen gemäß Absatz 1 ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ein Schutzabstand (für die Begriffsbestimmung siehe Nummer 2 Absatz 14) festzulegen, in dem keine den Betrieb der Druckanlage beeinflussenden Ereignisse erfolgen dürfen oder geeignete Notfallmaßnahmen festgelegt werden müssen.

3.2.6 Besondere Gefährdungen durch Tätigkeiten mit Acetylen

(1) Innerhalb von Acetylenanlagen einschließlich Behältern und Rohrleitungen ist die Möglichkeit eines Acetylenzerfalls zu berücksichtigen. Dabei sind die Prinzipien des Explosionsschutzes in geeigneter Weise innerhalb der Anlage/der Rohrleitung/des Behälters zu beachten und anzuwenden:

  1. Vermeiden des Zerfalls von Acetylen, z. B. durch Phlegmatisierung oder Unterschreitung des Stabilitätsgrenzdrucks;
  2. Vermeiden von Zündquellen für die Zerfallsreaktion von Acetylen (siehe auch Absatz 6);
  3. Konstruktiver Explosionsschutz.

(2) Die Zerfallsfähigkeit des Acetylens hängt von den zu erwartenden Betriebszuständen (insbesondere Druck und Temperatur) ab. Der Zerfall kann deflagrativ oder detonativ verlaufen. Die entstehenden Explosionsdrücke können vom zehn- bis elffachen des Anfangsdrucks bei deflagrativem Zerfall und bis zum 40-fachen (in Spezialfällen sogar noch mehr) des Anfangsdrucks bei detonativem Zerfall reichen. Detonationen können zumeist in Rohrleitungen anlaufen, aber auch innerhalb von Behältern kann ein detonativer Zerfall von Acetylen nicht ausgeschlossen werden. Weitere Informationen zu sicherheitstechnischen Kenngrößen sowie zum Deflagrations- und Detonationsverhalten und den resultierenden Bemessungsdrücken von Acetylen sind in Anhang 4 enthalten.

(3) Die bei der Zerfallsreaktion von Acetylen entstehenden Reaktionsprodukte (Wasserstoff und Ruß) sind selbst brennbar, so dass (anders als bei Explosionen von anderen Brenngasen mit Luft oder mit einem anderen oxidierenden Gas) nach der Freisetzung der Reaktionsprodukte aus einem geschlossenen Anlagenteil mit einer weiteren Explosion des explosionsfähigen Gemischs aus Wasserstoff, Ruß und Luft gerechnet werden muss.

(4) Acetylen lässt sich relativ leicht verflüssigen oder verfestigen und Acetylen in flüssiger oder fester Phase ist sehr instabil und leicht zur Explosion zu bringen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Betriebszustände zu berücksichtigen. Beim Betrieb sind daher Drücke und Temperaturen zu vermeiden, bei denen es zur Bildung von Acetylen in kondensierter Phase kommen kann, siehe dazu Anhang 4 Nummer A.4.2.

(5) In Abhängigkeit von Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt ist die Bildung von festem Acetylenhydrat, das ggf. zur Verstopfung von Rohrleitungen führen kann, zu berücksichtigen.

(6) Wegen der Zerfallsfähigkeit von Acetylen können Zündquellen (siehe dazu auch TRBS 2152 Teil 3) auch bei Abwesenheit von Luft innerhalb von Anlagen, Behältern und Rohrleitungen für Acetylen wirksam werden. Dabei sind insbesondere folgende Zündquellen zu berücksichtigen:

  1. Durch Entlastung eines unter höherem Druck stehenden Anlagenteils (z. B. eines Flaschenbündels) in ein unter geringerem oder keinem Überdruck stehenden Anlagenteil (z. B. Rohrleitungen oder Schläuche zu den Entnahmeeinrichtungen des Bündels) wird das Gas in den Rohrleitungen bzw. Schläuchen adiabatisch verdichtet und erwärmt sich. Durch diese Erwärmung kann unter Umständen die Zündtemperatur des Acetylens überschritten werden, zu den Zündtemperaturen von Acetylen mit und ohne Anwesenheit von Luft siehe Anhang 4 Nummer A.4.5.
  2. Bei schnellen Strömungsvorgängen, insbesondere bei Anwesenheit von Luft (z. B. bei nicht ausreichender Phlegmatisierung bzw. Spülung) können Zündquellen entstehen durch
    a) mitgerissene Partikel,
    b) Temperaturerhöhungen durch lokale adiabatische Verdichtungen.
  3. Katalytisch wirkende Stoffe, wie z. B. Rost, können den Zerfall chemisch instabiler Gase initiieren.
  4. Acetylen bildet mit bestimmten Metallen (Kupfer und Silber) ein schlagempfindliches Acetylid, das wiederum durch seinen Zerfall als Zündquelle dienen kann.
  5. Bei Acetylen ist eine Verflüssigung darüber hinaus besonders gefährlich, da flüssiges Acetylen einen sehr hohen Energiegehalt hat und sehr leicht explosionsartig zerfällt.

(7) Die Möglichkeit eines explosionsartigen Acetylenzerfalls ist auch bei der Art und Anordnung von Sicherheitseinrichtungen zur Druckentlastung und von Zerfallsperren sowie der Ausrüstung von Druckgasflaschen zu berücksichtigen.

(8) Falls ein Acetylenzerfall bei den zu erwartenden Betriebszuständen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, müssen die dabei auftretenden Druckbeanspruchungen durch deflagrativen oder detonativen Zerfall unter Beachtung der möglichen Explosionsdrücke berücksichtigt werden (siehe dazu auch Anhang 4 Nummer A.4.6 und Nummer A.4.9).

(9) Die Auswirkungen einer Explosion müssen bei der Gestaltung von Aufstellräumen für Acetylenanlagen berücksichtigt werden.

3.2.7 Besondere Gefährdungen durch Tätigkeiten mit Sauerstoff

(1) Bei Druckgasbehältern und Druckanlagen ist ggf. mit hohen Strömungsgeschwindigkeiten, insbesondere in Armaturen, zu rechnen. Es ist dann mit Zündung und somit mit Ausbränden von Anlagenteilen zu rechnen, wenn:

  1. Verunreinigungen aller Art sich im Sauerstoffstrom befinden,
  2. sicherheitstechnisch ungeeignete Werkstoffe verwendet werden,
  3. sicherheitstechnisch ungeeignetes Dichtungsmaterial oder Gleitmittel verwendet wird,
  4. sicherheitstechnisch als geeignet getestete Armaturen im Nachhinein in ihrer Geometrie geändert oder in anderer Weise manipuliert wurden oder
  5. (unabhängig davon) die Strömungsgeschwindigkeit einen bestimmten Grenzwert überschreitet.

(2) Durch adiabatische Druckstöße können Materialien oder Armaturen, die ansonsten als sicherheitstechnisch für den Einsatz mit Sauerstoff als geeignet eingestuft wurden, dennoch durch die entstehende Verdichtungswärme gezündet werden. So kann z. B. das Elastomer im Regeleinsatz eines Druckminderers beim schlagartigen Öffnen eines Sauerstoffdruckgasflaschenventils entzündet werden, wenn diese Armatur nicht entlastet ist.

(3) Bei nicht abgeschirmten Kolbenverdichtern, Sauerstoff-Turboverdichtern und Turbogebläsen mit Betriebsüberdrücken > 1 bar kann es bei einer unbeabsichtigten Zündung zu intensiven Bränden kommen, die explosionsartig sein können. In der Nähe befindliche Personen sind in diesem Fall extrem gefährdet.

(4) Es kann zur Selbstentzündung kommen, wenn Verunreinigungen wie Öl, Fett oder andere organische Materialien mit Sauerstoff in Berührung kommen.

(5) Bei Verwendung von ungeeigneten Werkstoffen kann eine Zünd- und somit Brandgefahr bestehen. So dürfen beispielsweise Zirkon und dessen Legierungen oder Titan und dessen Legierungen in Sauerstoff nicht verwendet werden.

(6) Bei Tätigkeiten mit tiefgekühlt verflüssigten Sauerstoff entstehen zusätzlich besondere Gefährdungen:

  1. Bei ungeschütztem Hautkontakt ist mit Erfrierungen zu rechnen.
  2. Sobald verflüssigter Sauerstoff auf organisches Material (z. B. Holz, PE/PP-Kunststoff, bituminöser Straßenbelag) tropft, ist selbst bei geringsten Zündenergien mit heftigsten Reaktionen bis hin zu explosionsartigen Reaktionen zu rechnen.
  3. Bei Verwendung von Betriebsmitteln aus ungeeignetem Werkstoff ist mit Materialversprödung zu rechnen.

(7) Sauerstoffaustritt, z. B. bedingt durch Undichtigkeiten, führt zu Sauerstoffanreicherung außerhalb des Druckgasbehälters bzw. der Druckanlage und kann somit auch zur Sauerstoffanreicherung in der Arbeitskleidung der Beschäftigten führen. Die gleiche Gefährdung durch Sauerstoffanreicherung ist bei Instandhaltungsmaßnahmen an Anlagen, in denen Sauerstoff eingesetzt worden ist, gegeben. Sauerstoffanreicherung durch Leckagen in brennbaren Dämmstoffen führt zu unbeherrschbaren Brandlasten im Falle einer Zündung.

(8) Sauerstoff unter Druck darf nicht an Stelle von Druckluft verwendet werden. Dies gilt insbesondere für:

  1. Verwendung beim Farbspritzen,
  2. Antrieb von maschinellen Werkzeugen,
  3. Anlassen von Motoren,
  4. Fortblasen von Spänen und Staub,
  5. Abblasen der Kleidung,
  6. Verbesserung der Raumluft.

(9) Bei längerfristiger Einatmung hoher Sauerstoffkonzentrationen, insbesondere unter hohem Druck, kann sich ein Lungenödem bilden.

3.2.8 Besondere Gefährdungen beim Mischen von Gasen

(1) Beim Mischen von Gasen können aufgrund ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften besondere Gefährdungen auftreten. Gefährdungen aufgrund physikalischer Eigenschaften sind z. B. temperatur- und druckabhängiges Entmischen sowie unbekanntes Ausdehnungsverhalten von Gemischen. Gefährdungen aufgrund chemischer Eigenschaften sind mögliche gefährliche Reaktionen zwischen den Stoffen eines Gemisches oder Reaktionen mit dem Behälterwerkstoff (Korrosivität) sowie Ausrüstungsteilen und Dichtmaterialien.

(2) Gasgemische werden in gasförmige Gasgemische-G und flüssige Gasgemische-L unterteilt (siehe Begriffsbestimmungen). Als dritte Kategorie gibt es technische Gasgemische (mit eigener UN-Nr.), die entweder gasförmig oder flüssig sein können. Der Aggregatzustand kann über die UN-Nr. ermittelt werden.

(3) Aus dem Aggregatzustand eines Gasgemisches können sich zusätzliche Gefährdungen ergeben durch:

  1. Entmischen bei der Entnahme,
  2. Auskondensieren von Gasen im Druckgasbehälter oder in der Druckanlage,
  3. Druckanstieg im Druckgasbehälter oder in der Druckanlage aufgrund von Temperaturanstieg.

(4) Bei der Herstellung von Gasgemischen ist besonders zu berücksichtigen, dass die Stoffe des Gemisches nicht gefährlich miteinander reagieren können (siehe Nummer 4.2 und Anhang 3). Beispiele für Gefährdungen sind explosionsartige Reaktionen von entzündbaren Gasen mit Oxidationsmitteln, z. B. mit Sauerstoff oder halogenhaltigen Gasen.

3.3 Festlegung von Betriebsparametern zur Auswahl bzw. Auslegung von Arbeitsmitteln

(1) Die in dieser TRGS beschriebenen Eigenschaften der verwendeten Gase oder Gasgemische müssen bei der Festlegung von Betriebsparametern und der Auswahl von Konstruktionswerkstoffen berücksichtigt werden. Sie sind erforderlich für die Auswahl bzw. Auslegung von Druckgasbehältern, Druckanlagen sowie von Arbeitsmitteln und Ausrüstungsteilen, die besonderen Anforderungen unterliegen, wie z. B. an den Explosionsschutz, sowie bei der Festlegung von Aufstellbedingungen.

(2) Die maximale und die minimale Betriebstemperatur sowie der maximale und der minimale Betriebsdruck sind unter Berücksichtigung der im Druckgasbehälter bzw. in der Druckanlage zu erwartenden Drücke und Temperaturen festzulegen. Dabei sind Eigenschaften des Gases bzw. der Gase und chemische Reaktionen gemäß Nummer 3.1 und 3.2 zu berücksichtigen, wie z. B.

  1. Druckerhöhung aufgrund von Wärmeausdehnung der Flüssigphase und der Gasphase bzw. Dampfdruckerhöhung der Flüssigphase,
  2. Druckerniedrigung aufgrund von Entspannung bzw. Kondensation,
  3. Druck- und Temperaturerhöhung aufgrund von adiabatischer Verdichtung,
  4. Drücke (ggf. auch Explosionsdrücke) und Temperaturen, die aufgrund von chemischen Reaktionen entstehen können.

(3) Konstruktionswerkstoffe von Druckgasbehältern bzw. Druckanlagen einschließlich aller Ausrüstungsteile und Sicherheitseinrichtungen müssen unter Berücksichtigung der vorgesehenen Betriebsparameter geeignet sein. Primär sollen dazu die Angaben des Inverkehrbringers zur bestimmungsgemäßen Verwendung herangezogen werden. Gibt es keine entsprechenden Informationen, können Informationen zur Kompatibilität der Konstruktionswerkstoffe aus entsprechenden Normen entnommen werden, siehe dazu Nummer 3.2.2 Absatz 2.

(4) Die verwendeten Druckgasbehälter bzw. Druckanlagen einschließlich ihrer Ausrüstungsteile müssen für die vorgesehenen Betriebsparameter geeignet sein, d. h. sie müssen unter Berücksichtigung der TRBS 2141 entsprechend ausgewählt werden bzw. die Betriebsparameter müssen bei der Auslegung von Druckgasbehältern und Druckanlagen entsprechend berücksichtigt (an den Hersteller kommuniziert) werden. Die Betriebsparameter sind auch bei der Auswahl und Anordnung von Sicherheitseinrichtungen zu berücksichtigen, die eine Abweichung von den Betriebsparametern verhindern sollen.

(5) Arbeitsmittel mit Anforderungen an den Explosionsschutz müssen unter Berücksichtigung der vorgesehenen Betriebsparameter geeignet sein. Daher sind, basierend auf den Eigenschaften der entzündbaren Gase bzw. Gasgemische, für die Auswahl dieser Arbeitsmittel Parameter zu ermitteln, wie z. B.

  1. Gerätekategorie (für Geräte im Sinne der Explosionsschutzverordnung) bzw. Maß der Zündquellenfreiheit, resultierend entweder aus der Zone, in der das Gerät bzw. sonstige Arbeitsmittel verwendet werden soll oder aus der Wahrscheinlichkeit und Dauer des Vorhandenseins explosionsfähiger Atmosphäre oder explosionsfähiger Gemische (wenn keine Zoneneinteilung erforderlich ist),
  2. Temperaturklasse bzw. maximal zulässige Oberflächentemperatur, resultierend aus der niedrigsten Zündtemperatur der Gase,
  3. Explosionsuntergruppe (Grenzspaltweite (MESG) bzw. Mindestzündstromverhältnis (MIC)),
  4. Ableitwiderstand.

(6) Die entsprechenden Informationen bzw. Anforderungen ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung bzw. dem Explosionsschutzdokument.